Kennen Sie die 3R? – Gastbeitrag von Professor Markus Wild

 

Markus Wild ist Philosophie-Professor an der Universität Basel und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Geist der Tiere. Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehört die Tierphilosophie.

25. März 2021

Vor ein paar Jahren erzählte mir ein junger Mann, der eben in den Niederlanden den Doktortitel erlangt hatte, er habe sich mit diesem Titel das Recht erworben, mit dem Schwert statt dem Strick hingerichtet zu werden, sollte er ein Kapitalverbrechen begehen. Ob das wahr ist, weiss ich nicht. Aber die Anekdote sagt etwas über Universitäten: Sie entwickeln sich in manchmal atemberaubender Langsamkeit. Die ältesten Institutionen in Europa sind nicht Firmen oder Nationen, sondern die römisch-katholische Kirche und Universitäten wie Bologna, Cambridge, Prag, Wien, Heidelberg oder Basel. Es ist bemerkenswert, wie steinalt diese Hotspots geistiger Gelenkigkeit und wissenschaftlicher Wunderwerke sind. Das merkt man auch bei Tierversuchen.

Kennen Sie die 3R? Sie stehen für das englische «replace», «reduce», «refine». Im Deutschen verwandeln sie sich in 3V: «vermeiden», «verringern», «verfeinern». Die 3R sind Prinzipien für Tierversuche. Diese sollen möglichst durch tierfreie Alternativen ersetzt, die Anzahl Tiere soll verringert und die Belastung durch avancierte Methoden vermieden werden. Natürlich ist die Krux das Wörtchen «möglichst». Manche Leute glauben, dass es niemals ohne Tierversuche gehen wird. Diese Denkweise scheint mir faul und träge, ja geradezu unwissenschaftlich. Wir haben bislang einfach zu wenig Fantasie, Zeit und Geld in Alternativen investiert.

Die 3R-Prinzipien gehen auf zwei Naturwissenschaftler zurück, William Russell und Rex Burch. Beide hielten Tierversuche zwar für unverzichtbar, waren aber der Überzeugung, dass sie entweder ersetzt oder aber humanisiert werden müssen. Sie haben die 3R in ihrem Buch The Principles of Humane Experimental Technique ausformuliert. Das war 1959.

 Am 3. Februar 2021 hat der Bundesrat ein Nationales Forschungsprogramm zum Thema «Advancing 3R» lanciert. Das Programm dauert fünf Jahre und soll die 3R voranbringen. Damit reagiert der Bund nicht nur auf seit Jahren stagnierende statt sinkende Tierversuchszahlen, sondern auch auf die moralische Entwicklung der Gesellschaft, Proteste gegen Tierversuche und den Druck von Volksinitiativen. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass wir keine belastenden Tierversuche durchführen, finde ich ein solches Programm im Moment politisch wirklich begrüssenswert.

Bedenklich ist, dass zwischen der Idee von Russell und Burch und dem Forschungsprogramm mehr als 60 Jahre liegen. Universitäten sind manchmal tödlich langsam. Die private Forschung hat länger schon realisiert, dass auch Kleinvieh im Tierversuch Mist macht: zu teuer, zu umständlich, imageschädigend und nicht sehr zuverlässig. Für Tierversuche an Schweizer Hochschulen hingegen hat eine Studie vor ein paar Jahren feststellen müssen, dass man Forschenden allzu sehr vertraut, statt genau hinzuschauen, ob das nötig und wissenschaftlich gut gemacht ist. Tiere sind immer noch Verbrauchsmaterial.

Die 3R für Versuchstiere voranzubringen, ist ein wichtiges Mindestziel, das wir erreichen müssen. Ich meine, dass wir die 3R auch auf Nutztiere anwenden könnten. Nutztiere können heute schon weitgehend durch Alternativen ersetzt, ihre Zahl kann drastisch reduziert und der Umgang mit ihnen auf vier neue Beine gestellt werden. Würde die Schweiz die 3R-Prinzipien für die Landwirtschaft so ernst nehmen wie für die Wissenschaft, wir hätten es mit einer regelrechten Revolution zu tun. Den Druck, der die Forschung nun lenkt, wird hoffentlich bald auch die Landwirtschaft zu spüren bekommen.