"Es geht nicht mehr. Egal, wie es weitergeht, aber so nicht mehr!"

 

Von Martina Futterlieb

Dieser Satz von Toni Kathriner legte 2017 den Grundstein für einen kompletten Wandel. Er und seine Frau Yvonne stiegen aus der Nutztierhaltung aus und machten aus dem Milchbetrieb einen Lebenshof – den Hof "Lebensparadies".

"Es war ein langer Weg bis hierher, bestehend aus vielen kleinen Etappen, doch die waren alle nötig, um da hinzukommen, wo wir jetzt sind", sagt mir Toni an diesem strahlenden, aber eisig kalten Wintermorgen. "Und unser Weg ist noch lange nicht zu Ende. Er hat erst richtig begonnen."

«Schon als kleiner Bub habe ich geweint, wenn eine Kuh wegmusste.»

Yvonne und Toni Kathriner waren die ersten Bauern in der Schweiz, die aus der Nutztierhaltung ausstiegen und damit an die Öffentlichkeit gingen. Ihr Betrieb liegt oberhalb von Wald im Zürcher Oberland, eingebettet in eine wundervolle hügelige Landschaft mit saftigen Weiden und alten Hochstammbäumen.

Yvonne und Toni konnten den ehemaligen Milchbetrieb 2010 von Yvonnes Eltern übernehmen und haben ihn – erstmal – so weitergeführt. Auch Toni kommt aus einer Milchbauernfamilie. «Schon als kleiner Bub habe ich geweint, wenn eine Kuh oder ein Kalb wegmusste, aber ich dachte damals, das müsse halt so sein», erinnert er sich. Trotzdem fühlten sie beide, dass das, was sie tun, nicht richtig ist.

In der Milchwirtschaft werden die Kälber gleich nach der Geburt ihren Müttern weggenommen, denn die wertvolle Milch ist für den menschlichen Konsum bestimmt. Tagelang rufen die Kühe nach ihren Kälbern und umgekehrt. Kaum ist das Kalb geboren, werden die Kühe so bald wie möglich wieder künstlich besamt, damit sie das nächste Kalb bekommen und die Milch sozusagen nie versiegt. Milchkühe werden in der Schweiz nur durchschnittlich fünf Jahre alt. «Die Trennung von Mutter und neugeborenem Kind ist nur ein kleiner Teil des ganzen Gräuels. Es geht nicht darum, nach Kompromissen zu suchen, sondern darum zu erkennen, dass die Tiernutzung einfach nicht richtig ist, egal, wie sie geschieht», sagt Toni.

Also stiegen Toni und Yvonne auf Mutterkuhhaltung für die Fleischproduktion um. Die Kälber durften bei ihren Müttern bleiben, mit ihnen auf die Weide gehen und Muttermilch trinken. So weit so gut. Doch nach etwa 10 Monaten wurden sie abgeholt und ins Schlachthaus gebracht. Die Kühe standen dann kurz vor ihrer nächsten Geburt.

«Es geht nicht darum, nach Kompromissen zu suchen.»

Der innere Kampf von Toni und Yvonne wurde immer grösser. Eines Tages im August 2017 musste Toni vier Kälber für den Schlachthof verladen. Danach ging er zu seiner Frau und sagte: «Es geht nicht mehr. Egal, wie es weitergeht, aber so nicht mehr.» Von da an schickten sie kein einziges Tier mehr in den Tod.

Doch sie hatten den Hof, die Tiere und vier kleine Kinder – und der grösste Teil des Einkommens fiel weg. «Wir hatten noch keine Lösung bereit, sondern wagten den Sprung ins Ungewisse», sagt Toni, «aber manchmal muss man etwas wagen, um belohnt zu werden.» So fingen sie an zu suchen und stiessen auf den gemeinnützigen Verein «Hof Narr», einen Lebenshof in ihrer Nähe, der sie dabei unterstützte, Patenschaften für die Tiere aufzubauen. Diese Patenschaften helfen ihnen, den Lebensunterhalt ihrer Tiere zu sichern.

«Es gibt keine «Nutztiere». Es gibt nur Tiere, die vom Menschen ausgenutzt werden.»

«Die eigenen programmierten Verhaltensweisen zu hinterfragen ist schwer, aber wenn Du erstmal damit anfängst, zieht sich das durch alle Lebensbereiche und es hört nie auf», sagt Toni. «Wir lernen von klein auf, dass es sogenannte «Nutztiere» gibt, doch das stimmt nicht. Es gibt lediglich Tiere, die vom Menschen ausgenutzt werden. Die Unterteilung zwischen Haus- und Nutztieren ist menschengemacht.

Die Aufgabe der Tiere auf dieser Erde ist nicht, dem Menschen zu nutzen, sondern ihm als Weggefährten und Lehrer zur Seite zu stehen. Wir sollen für sie sorgen und sie beschützen, wenn es nötig ist. Von den Tieren lernen wir bedingungslose Liebe, sie sind nicht berechnend oder vorausschauend wie wir. Sie sind unsere treuesten Freunde, unsere seelischen Geschwister. Erst wenn die Tiere in Frieden leben dürfen, werden wir Menschen das auch.»

Die Tiere auf dem Hof Lebensparadies leben in Frieden – und das sieht man, aber vor allem spürt man es. Die etwas mehr als 40 Kühe und Ochsen, zwei Ponys, vier Schweine und Hund Sina strahlen eine Zufriedenheit und Ruhe aus, der man sich nicht verschliessen kann. «Unsere Kühe waren nie wild», sagt Yvonne, «wir waren bereits vorher sehr liebevoll mit unseren Tieren, aber seit sie nicht mehr in der Nutzung sind, ist es anders, sie sind ruhiger und vertrauensvoller, weil sie wissen, dass ihnen nichts Schlechtes mehr widerfahren wird.»

Die Tiere haben einen schönen Laufstall mit viel Platz zur Verfügung. Doch es brauchte bauliche Anpassungen am Stall, unter anderem, weil die ausgewachsenen Ochsen sehr gross werden. Der letzte Umbau ist erst ein paar Wochen her. «Schon einige Jahre dürfen unsere Kühe ihre Hörner behalten, so wie es die Natur für sie vorgesehen hat», erzählt Toni.

Die teils älteren Kühe und vor allem die mächtigen Ochsen mit ihren wunderschönen ausladenden Hörnern brauchen mehr Platz, um gut zum Futter zu kommen und das Fressgitter anschliessend auch wieder ruhig verlassen zu können. Dies ermöglicht auch älteren, rangniedrigeren Tieren, in Ruhe fressen zu können. Diese Investition war sehr teuer und sie suchen noch nach Unterstützern, die ihnen bei der Finanzierung unter die Arme greifen.

Die irrsinnige Zucht und Fütterung hat die Tiere so weit programmiert, dass sie Unmengen an Futter fressen und möglichst schnell zunehmen. Insbesondere die Stiere werden in der normalen Nutztierhaltung nur wenige Monate alt. In der Milchviehzucht meist nur einige Wochen oder gar nur Tage, weil sie für die Mast nicht geeignet sind. 

«Die Fütterung unserer schweren Tiere ist eine Herausforderung. Wir müssen einerseits für eine ausreichende Versorgung mit Nährstoffen sorgen, andererseits zu vermeiden versuchen, dass sie zu schwer werden», sagt Toni. «Das wäre schlecht für ihre Gesundheit – Gelenke, Kreislauf, Herz –, doch wir möchten, dass sie gesund alt werden dürfen.» Zu fressen bekommen sie nur Gras, das hier auf dem Hof wächst – im Winter als getrocknetes Heu.

«Die Tiere sind nicht dafür vorgesehen, älter als zehn Monate alt zu werden.»

«Es ist abartig, was diesen Tieren in der Nutztierhaltung angetan wird», meint Toni. Allein schon die Fütterung von Getreide ist für Wiederkäuer eine Qual.  Für die höhere Leistung bleibt die Gesundheit der Tiere völlig auf der Strecke. Die Kühe leben in Dauerschwangerschaft und wenn sie nicht mehr trächtig werden, werden sie geschlachtet.

 «Die schrecklichen Zustände in der Nutztierhaltung, die nur dem Profit der Industrie dienen und zu 100 % auf Kosten der Tiere und der Umwelt gehen, werden mit dem Mythos gerechtfertigt, Fleisch und tierische Produkte seien für eine gesunde Ernährung unabdingbar.

«Der Konsument hat den Bezug zum Tier und zur Natur längst verloren.»

Dabei ist Fleisch für die menschliche Ernährung völlig unnötig. Es gibt genügend fundierte Studien, die beweisen, dass tierische Produkte für den Menschen unnötig, ja sogar ungesund sind. Doch die Lobbys der Fleisch-, Milch- und Eierindustrie investieren Millionen in Werbekampagnen, um die Menschen im Glauben zu lassen, das sei nicht so. Dabei war es noch nie so einfach wie heute, an Informationen zu kommen. Wer danach sucht, der findet sie auch. Es ist zu einfach, die Schuld nur bei den Bauern und Metzgern zu suchen, denn als Konsument sagt man bei jedem Kauf von tierischen Produkten ‹Ja, das unterstütze ich›.

«Jeder einzelne von uns hat die Macht, etwas am System zu verändern, indem er seine Essgewohnheiten ändert.»

Was wir als Bauernfamilie tun können, ist als Beispiel voranzugehen. Wenn ein anderer sich dann sagt, «das mach ich auch», haben wir schon viel erreicht. Wir zeigen den Menschen ‹es geht auch anders und es geht uns sogar besser dabei›. Veränderung kann man nicht erzwingen, sie muss von innen kommen.»

Mehr über den Hof Lebensparadies und seine Bewohner erfährst Du hier:

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