Die aiavita – ein Ort, an dem sich die Seele erholen darf

 

Von Bettina Ebner

Der klangvolle Name setzt sich zusammen aus "l’aia", was so viel wie Scheune bedeutet, und "la vita", das Leben. Ein geschützter Lebensplatz für Lebewesen in Not. Die kunterbunte, kleine Oase von Seraina Manzanell liegt im aargauischen Mettauertal. Hier dürfen verletzte Seelen wieder heilen, Kraft tanken und zur Ruhe kommen.

Als ich auf der aiavita ankomme, werde ich stürmisch von Mosca begrüsst. Eine wunderschöne 3-jährige Ridgeback-Mischlingshündin, die zu Beginn nicht so recht weiss, was sie von meinem Besuch halten soll. Sie ist aufgeregt und gleichzeitig etwas scheu. Nachdem Seraina sie etwas beruhigt hat, werde ich auch von ihr herzlichst empfangen. Ich fühle mich gleich wohl in ihrer Gegenwart, und bin gespannt, was sie alles über ihre Schützlinge zu erzählen hat.

So erfahre ich, dass Mosca aus Italien kommt und schon als kleiner Welpe ständig herumgereicht wurde. Nirgends konnte sie zur Ruhe kommen, nirgends war sie richtig zu Hause. Dies ist der Grund, warum die Hündin sehr aufgedreht ist und niemand sie wollte, bis sie endlich bei Seraina ein behütetes "Für-immer-Zuhause" fand.  Zu Serainas Hunderudel gehören aber noch drei weitere Fellnasen. Und jetzt dürfen auch sie dazukommen. Die Tür geht auf und Max, Nuri und Bozo stürmen laut bellend auf uns zu. Schmunzelnd stelle ich fest: Dieser Hof wird mit Sicherheit von niemandem unbemerkt besucht!

So fing alles an …
Als sich die Hunde beruhigt haben und wir langsam zu den Pferden spazieren, erzählt mir Seraina ein wenig aus ihrer Lebensgeschichte. Schon als kleines Mädchen hat sie sich immer hingebungsvoll um verletzte und kranke Tiere gekümmert. Und war es auch noch so klein, jedes wurde aufgenommen und aufgepäppelt so gut es ging. Das «Helfergen» wurde Seraina sozusagen in die Wiege gelegt. Daher war es schon früh klar, dass die Tiere Seraina ein Leben lang begleiten werden.

Seraina absolvierte eine Ausbildung als Lehrerin. Schnell merkte sie jedoch, dass ihr Herz vor allem für diejenigen schlägt, die ganz besonders viel Hilfe brauchen, und begann mit verhaltensauffälligen Kindern zu arbeiten. Zeitgleich machte sie eine therapeutische, tiergestützte Ausbildung an der Uni Zürich.

Neben der sonderpädagogischen Arbeit in einem Heim absolvierte sie noch eine Coaching-Ausbildung, die es ihr ermöglicht, ganz individuell auf die Bedürfnisse einzugehen. Menschen und Tieren in schwierigen Situationen zu helfen, wurde Stück für Stück zu ihrem Lebensinhalt. Und wenn man Seraina beim Erzählen in die Augen schaut, merkt man sofort, dass das weit mehr als nur Arbeit ist.

Gerade als sich Seraina selbstständig machte, veränderte sich durch Corona alles. Es braucht nicht viele Worte, um zu beschreiben, was das für eine Therapeutin bedeutet: keine Arbeit mehr und damit finanzielle Schwierigkeiten. Da Seraina den Hof allein mit ihrem Gehalt über Wasser halten muss, grenzt diese Situation an eine Katastrophe. Die finanziellen Belastungen für einen Hof mit all seinen Tieren sind enorm. Nötige Um- und Ausbauarbeiten an den Ställen, Futter für die Tiere und Tierarztkosten sind dabei die grössten Positionen, aber längst nicht alle.

Glücklicherweise kann sie nun wieder als Therapeutin und Coach arbeiten, aber die finanziellen Engpässe sind längst nicht vom Tisch.

Ein pferdegerechter Auslauf
Auf dem Hof ist ein kleiner Haufen des Sedimentgesteins Mergel sichtbar, der noch auf seine Verarbeitung wartet. Der ganze Rest der insgesamt 66 Tonnen wurde bereits im nun erweiterten Auslauf der drei prächtigen Pferde verteilt. In den kommenden Tagen wird noch Quarzsand angeliefert, der nicht staubt und eine angenehme, weiche Liegefläche für die Pferde wird.

"Der sanierte Auslauf bietet den Pferden die gewünschte Trittsicherheit"

"Den Auslauf zu sanieren war dringend nötig, damit die Pferde nicht länger auf dem rutschig und löchrig gewordenen Untergrund laufen müssen. Das Verletzungsrisiko ist einfach zu gross geworden", erzählt mir Seraina.

Mir als Pferdeliebhaberin haben es die bildschönen und freundlichen Pferde besonders angetan. Zeus, Molly und Sara geniessen sichtlich ihren neuen, grosszügigen Auslauf. Sie dürfen sich zu jeder Tageszeit komplett frei bewegen und auswählen, wo sie sich gerade am liebsten aufhalten.

Vor allem die Geschichte von Zeus, einem verschmusten 6-jährigen Schimmel, hat mich sehr erstaunt. Der schöne Wallach, der seit März 2021 bei Seraina lebt, wurde in den sozialen Medien als "zu verschenken" ausgeschrieben. Aber wer bitte schön verschenkt einfach ein Pferd? Das dachte auch Seraina und meldete sich auf die Anzeige. Zuerst passierte nichts, dann kam ein Anruf in gebrochenem Deutsch, dass das Pferd dringend wegmüsse und gleich vorbeigebracht werde. Viel Zeit, um nach einem Haken an der Geschichte zu suchen, hatte Seraina nicht mehr, denn kurz darauf stand ein Auto mit einem uralten, klapprigen Anhänger vor der Tür. Laderampe auf, Pferd raus und auf Wiedersehen. Und da war er nun, der Zeus. Er hat sich mit den anderen Pferden sofort gut verstanden und vor allem zu Molly eine innige Pferdefreundschaft entwickelt.

Zeitgleich mit der Sanierung des Pferdeauslaufs kann auch der Schafstall an seinen geplanten Ort gesetzt und eingezäunt werden. Bisher lebten die vier Schafe in einem Provisorium in der Scheune und freuen sich ebenso wie die Pferde, den neuen Boden unter ihre Klauen zu nehmen.

Ein gesicherter Garten
Die Katzen von Seraina dürfen sich im Wohnhaus aufhalten und zudem gut 90 m2 des rundum gesicherten Gartens nutzen. Das Gehege ist oben offen und hat einen Überkletterschutz. So ist die Umgebung auch für sehr scheue Tiere optimal eingerichtet.

Im vergangenen, schneereichen Winter ist das ehemalige Holzgitter der Aussenanlage eingebrochen. Damit dies zukünftig nicht mehr passieren kann, soll dieser Auslauf nun mit stabilen Gittermatten und einem Stahlgerüst neu aufgebaut werden. Rund zwei Drittel der Arbeiten sind bereits abgeschlossen, aber da die ganze Aussenwand stabil einbetoniert werden muss, dauert es eine Weile, bis alles fertig ist, um von den Samtpfoten begutachtet zu werden. Und natürlich ist auch die Beschaffung von Metallgittern, Schweissioden, Steinen, Kies und diversem Kleinmaterial sehr kostspielig.

Zurzeit leben drei Pferde, vier Hunde, vier Schafe und neun Katzen in der aiavita, um die sich Seraina weitestgehend allein kümmert. Nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine körperliche Mammutaufgabe.

Die Bedürfnisse der Tiere stehen bei Seraina immer an oberster Stelle. Ihre eigenen stellt sie dabei gerne hintenan. Selbstlos sagt sie: "Ich brauche nichts. Alles, was ich habe, bekommen die Tiere." Sie hat wirklich ein riesiges Herz für Tiere und Menschen und hilft, wo sie nur kann.

Seraina strahlt so viel Wärme und Ruhe aus und ich bin mir sicher, dass es ihre Bestimmung ist, Tieren und Menschen zu helfen, wieder ihren Platz im Leben zu finden.

Mehr über die aiavita und ihre Bewohner erfährst Du hier:

www.aiavita.ch
www.facebook.com/aiavita.ch