Aufklärarbeit ist wichtig

Datum: 28. March 2024
Autor:

Thomas Steiger, langjähriger Stiftungsratspräsident von ProTier, blickt auf bewegte Zeiten im Tierschutz zurück. Wie sich die Stiftung ProTier über all die Jahre den wechselnden Anforderungen angepasst hat – und warum ihr Wirken wichtiger denn je ist.

ProTier: Seit 75 Jahren setzt sich die Stiftung ProTier für das Tierwohl und eine tiergerechte Haltung ein. Warum ist das Wirken der Stiftung notwendiger denn je?

Thomas Steiger: Nur weil das Tierleid nicht mehr wie früher so sichtbar ist, heisst das nicht, dass wir uns zurücklehnen können. Das haben uns auch die Pandemiezeiten vor Augen geführt, als sich viele Menschen einen Hund oder ein anderes Haustier angeschafft haben, nur um später festzustellen, dass sie damit nicht klarkommen , und das Lebewesen wieder loswerden wollen. Zudem haben ethische Fragestellungen an Bedeutung gewonnen, hier müssen wir anknüpfen. Wir sehen es als unsere fundamentale Aufgabe an, die Gesellschaft auch dafür zu sensibilisieren, wie sehr das Tierwohl in andere Bereiche hineinspielt, die für die ganze Gesellschaft relevant sind: Das Ernährungsverhalten und die Produktionsweisen in der Landwirtschaft sowie in der Industrie beispielsweise stehen in einem Zusammenhang mit dem Klimawandel. Wir sind und bleiben aber eine Stiftung, die nicht moralisiert und den Leuten nicht vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben. Eine Verbotsmentalität kann nicht die Lösung sein – umso wichtiger ist die Aufklärarbeit. Auch dank dieser Haltung geniesst ProTier ein hohes Vertrauen. ProTier, früher als Schweizerische Gesellschaft für Tierschutz bekannt, hat hierfür enorm wichtige Aufbauarbeit geleistet. Als Stiftung müssen wir zudem gegenüber der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht Rechenschaft ablegen.

ProTier: Welche Aktionen von ProTier oder der Vorgänger-Organisation, der Schweizerischen Gesellschaft für Tierschutz, waren für Sie besonders prägend?

Thomas Steiger: Dazu gehört die Befreiung von Tanzbären in Ländern wie der Türkei und Pakistan, die bis in den 1990er- Jahre n zur Unterhaltung von Touristen eingesetzt wurden. Die Kampagne setzten wir in Zusammenarbeit mit der Welttierschutzgesellschaft um. An diesen Aktionen zeigte sich sehr gut, worauf es neben einer internationalen Kooperation ankommt, um nachhaltig etwas zu bewirken: Die Beschlagnahmung der Bären erfolgte mit Unterstützung der jeweiligen Regierung. Die betroffenen Personen erhielten eine Anstellung, damit sie weiterhin ein Einkommen und eine Perspektive haben. Auch an der «Stopp Pelz»-Kampagne war ProTier massgeblich beteiligt. Anfang der 1990er-Jahre schien dank der umfassenden Aufklärung das Tragen von Pelz und Pelzaccessoires verpönt zu sein. Aber auch hier zeigt sich: Wir müssen dranbleiben, denn Anfang der 2000er-Jahre kam das Tragen von Pelz wieder in Mode. Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte von ProTier sind die vielen erfolgreichen Vermittlungen von Heimtieren, die in den 1980er-Jahren im Schweizer Fernsehen durch die Fernsehmoderatorin Heidi Abel einen enormen Auftrieb erhielten und ProTier schweizweit bekannt machten.

ProTier: Gerade jüngeren Menschen ist diese Sendung aber kein Begriff mehr. Wie sollen diese vermehrt auf das Engagement der Stiftung ProTier aufmerksam gemacht werden?

Thomas Steiger: Social Media haben uns viele neue Möglichkeiten eröffnet, die wir auch zu nutzen wissen. Das Interesse an der Tierwohl-Thematik ist gerade bei jüngeren Menschen ausgeprägt. Zudem können wir konkret bestimmte Zielgruppen wie Lehrerinnen und Lehrer, sowie Schulleiterinnen und Schulleiter ansprechen. So sind Freiwilligeneinsätze sehr gefragt. Uns schwebt vor, dass wir entsprechende Angebote auf die Beine stellen, zum Beispiel, um in den Alpen Stacheldraht zu entfernen, der sich für Tiere immer wieder als tödliche Falle entpuppt. Mit solchen Aktionen lassen sich auch die jungen Leute abholen.

ProTier: ProTier blickt auf 75 Jahre zurück. Wie haben sich in all diesen Jahren die Schwerpunkte der Stiftung verlagert?

Thomas Steiger: ProTier macht heute im Privatbereich keine Tiervermittlungen mehr. Die Zustände haben sich glücklicherweise verbessert. So sind beispielsweise kaum mehr Hunde an Ketten anzutreffen, und es kommt auch seltener vor, dass Tiere ausgesetzt werden. Die Gesellschaft ist heute in Fragen des Tierwohls viel aufgeklärter als früher. Aber gerade im Heimtierbereich müssen wir aufmerksam bleiben, da dieser Bereich keinen Kontrollen unterliegt. So setzt sich ProTier seit über 40 Jahren für die Kastration von Katzen ein, um deren unkontrollierte Vermehrung und Verwahrlosung auf Höfen zu verhindern. Die Nachfrage der Landwirtinnen und Landwirte nach unserer finanziellen Unterstützung ist ungebrochen: 2023 haben wir so viele Kastrationsgutscheine ausgestellt wie noch nie. ProTier war zu Beginn der 1980er-Jahre eine der ersten Organisationen überhaupt, die die Kastration von freilebenden Katzen und von Hofkatzen propagierte und förderte. Wir haben unser Engagement zudem auf Nutztiere ausgebaut, wo wir weiterhin in der Tiervermittlung aktiv sind. Zudem unterstützen wir bestehende Lebenshöfe oder stehen mit Rat und Tat zur Seite, wenn jemand plant, seinen konventionellen Hof in einen Lebenshof umzuwandeln. Das Interesse hierfür ist gross und nimmt Jahr für Jahr zu; das ist zu einem wichtigen Standbein für ProTier geworden.

ProTier: Welche Rolle spielen heute Kooperationen mit anderen Organisationen, die ähnliche Anliegen verfolgen?

Thomas Steiger: Durch ihre ganze Geschichte hindurch war es ProTier immer wichtig, mit anderen Organisationen, deren Werte wir teilen, zu kooperieren oder ihnen eine Plattform zu bieten – dazu gehören beispielsweise die Stiftung für das Tier im Recht oder die Organisation Vier Pfoten oder der Zürcher Tierschutz, um nur drei Beispiele zu nennen. Früher war das oft nicht möglich, da wurde es oft sehr emotional und es gab wenig Bereitschaft für Kompromisse. Heute herrscht die Überzeugung vor, dass wir in Fragen des Tierschutzes, des Tierwohls und der Tierethik die Kräfte bündeln und Synergien nutzen müssen. Gemeinsam sind wir stärker!

ProTier: Tierrechtsinitiativen haben nach wie vor einen schweren Stand, wie sich nicht zuletzt an der Massentierhaltungsinitiative zeigte, die am Stimmvolk scheiterte. Gleichzeitig ist heute die Sensibilität für das Tierwohl stark gewachsen, und die Tierrechtsphilosophie hat in den letzten Jahrzehnten viele moralische Grundlagen erarbeitet – für einen Umgang mit Tieren, der sie als empfindsame, leidensfähige Lebewesen und Persönlichkeiten respektiert. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Thomas Steiger: Die intensive Öffentlichkeitsarbeit der Tierschutzorganisationen hat massgeblich zu einer höheren Sensibilisierung beigetragen. Als Gesellschaft müssten wir eigentlich weiter sein in der konkreten Umsetzung, aber in der Politik bildet sich die höhere Sensibilität leider nicht ab, da wirken andere Kräfte. Diese Zeitverzögerung ist aber nichts Aussergewöhnliches. Es gilt, das Thema Tierwohl und Tierschutz auf der Agenda zu halten. Der Blick zurück zeigt ja, dass sich die bisherige Hartnäckigkeit ausgezahlt hat. Und wir dürfen nicht vergessen: Mehr als 1 Million Menschen haben der Massentierhaltungsinitiative zugestimmt. Diese Leute wollen wir weiterhin abholen.

ProTier: Wo sehen Sie heute den grössten Handlungsbedarf in Bezug auf das Tierwohl?

Thomas Steiger: Der Heimtier bereich ist unkontrolliert, weshalb ich es sinnvoll fände, die Frage eines obligatorischen Kurses für Tierhalter zumindest in Erwägung zu ziehen. Generell muss jeder bei sich selbst anfangen und auch als Konsument von tierischen Produkten Verantwortung tragen. Kurz und knapp gesagt: Der Markt ist es, der regiert. Man kann noch so lange über Tierschutz-Gesetze diskutieren, es muss jeder einzelne sein Verhalten anpassen; auf einer rein theoretischen Ebene ist nicht viel zu bewegen. Es geht aber auch darum, Missstände jeweils direkt anzusprechen, statt wegzuschauen. Mit einem konstruktiven Dialog liesse sich oft viel bewirken.