Gnadenhof-Pionierin
Vor 40 Jahren gründete Rita Tubbs eine Auffangstation für Esel, es war der wohl erste Tiergnadenhof der Schweiz. Heute leben im Tier-Asyl Hübeli in Hergiswil bei Willisau mehr als hundert Tiere aller Art.
Der Blick auf das Tier-Asyl Hübeli könnte aus einem Märchenbuch stammen: Idyllisch steht das alte Bauernhaus mit seinen roten Fensterläden im Schutz einiger mächtiger Tannen. Auf dem Vorplatz, der einen Ausblick auf die sanften Hügel des Napfgebiets bietet, schaut Rita Tubbs verschmitzt unter dem Hals von Lapacho hervor. Verglichen mit der zierlichen, 84-jährigen Frau ist der Freiberger-Wallach ein Riese – und er hat ihr sein Leben zu verdanken: Rita Tubbs übernahm Lapacho vor 18 Jahren als Fohlen von einer Tierschützerin, die ihn vor der Schlachtbank gerettet hatte.
Geschichten wie jene von Lapacho gibt es auf dem Hübeli viele. Insgesamt haben hier über hundert Tiere einen Lebensplatz gefunden. Auf den stotzigen Weiden zupfen sechs Ziegen und neun Schafe das karge Wintergras. Vor dem Haus gackert eine bunte Hühnerschar. Im Haus warten drei Dutzend Katzen auf die Besucher. Sie fläzen auf dem Sofa in der Stube; sie streichen dem Fotografen um die Beine; sie setzen sich auf den Notizblock des Journalisten und verlangen nach Streicheleinheiten. Hinter dem Haus befinden sich die Grosstierställe. Neben drei Pferden und zwei Ponys sind hier auch zwei Schweine und zwei Esel untergebracht.

Mit Eseln hat die Geschichte von Rita Tubbs’ Tiergnadenhof einst angefangen. Schon als Kind hatten es ihr die Langohren angetan. «Als ich ungefähr fünf Jahre alt war, musste ich wegen einer Krankheit zur Kur ins Tessin», erzählt sie. «Dort begegnete ich dem Eselchen Loni. Ich verbrachte viele Stunden mit ihr – und wollte gar nicht mehr weg.» Glücklicherweise durfte die kleine Rita nach ihrer Genesung an schulfreien Tagen auf dem Hof ihrer Tante Ida mithelfen, wo auch ein Esel lebte.
Ein Auffangheim für Esel
«Schon damals sagte ich, dass ich einmal etwas mit Tieren machen wolle», sagt Rita Tubbs. Zuerst allerdings schlug sie eine Ausbildung ein, die nichts mit Tieren zu tun hatte: Sie wurde Rechtsanwalts-Sekretärin. Später reiste sie in die USA. Dort lebte sie rund drei Jahre – unter anderem auf einer Ranch in Texas und für drei Monate bei einem Ureinwohner-Stamm. Gemeinsam mit ihrem Mann, den sie in den USA kennengelernt hatte, kehrte sie zurück in die Schweiz und wurde Mutter von vier Töchtern.
«Wir lebten in einem Einfamilienhaus – aber ich träumte noch immer von einem Leben mit vielen Tieren», erzählt sie. In Mehlsecken bei Reiden im Kanton Luzern fand die Familie einen alten Bauernhof mit viel Platz. Hier gründete sie im Jahr 1985, also vor 40 Jahren, ihr Tier-Asyl – laut ihr der erste Tiergnadenhof der Schweiz. Anfänglich war es ein Auffangheim für Esel, Tubbs hatte kurz zuvor bei der Gründung der Interessengemeinschaft Esel-Freunde mitgewirkt. «Bald wurden mir aber auch andere Tiere gebracht», sagt Tubbs.

Sie hat inzwischen die beiden Esel auf dem Hübeli aus ihrem Stall geholt. Eines der Tiere, die lustig gefleckte Eseldame Cindy, ist beinahe 40 Jahre alt und begleitet Rita Tubbs seit jener Anfangszeit. «Cindy war – gemeinsam mit ihrer Mutter und einem Geschwister – eines der ersten Tiere, die abgegeben wurden», erzählt Tubbs, während sie das Tier zärtlich krault.
Den Hof verloren
Rita Tubbs musste in den vier Jahrzehnten aber auch einige Schicksalsschläge wegstecken. In einer kalten Januarnacht im Jahr 1995 brannte der Hof in Mehlsecken komplett nieder. Von einem Tag auf den anderen verloren die Tierretterin und ihre Tiere ihr Zuhause. «Wir lebten fast zwei Jahre lang in Containern», erzählt sie, «es war eine schwierige Zeit.» Dann, im Jahr 1997, wurde ihr per Zufall das Heimetli im Napfgebiet zum Kauf angeboten.
Auch hier gab und gibt es schwierige Zeiten. Im Dezember 1999 richtete der Orkan Lothar enorme Schäden an. Im Jahr 2005 sorgten schwere Regenfälle für Hangrutsche, welche die Zufahrtsstrasse zum Hof wegrissen. Und wie bei vielen Gnadenhöfen, die auf Spenden angewiesen sind, ist das Geld chronisch knapp. «Aber für mich wäre nie in Frage gekommen, meine Tiere im Stich zu lassen», sagt Rita Tubbs. «Ich bin immer wieder aufgestanden, darauf bin ich stolz.»
Stolz ist sie auch auf eine Skulptur, die in der Stube einen Ehrenplatz hat: Das goldene Pony, das durch ein goldenes Herz schreitet, erhielt sie im Jahr 2007 von der österreichischen Lebenshof- Stiftung Gut Aiderbichl, die ihr die Auszeichnung «Goldenes Herz für Tiere» verlieh. Noch heute pflegt Tubbs Kontakt mit dem Gründer von Gut Aiderbichl.
In all den Jahren hat sie viele berührende und tragische Tierschicksale erlebt. Einmal wurde ein rosarotes Schweinchen, Miss Piggy, einem Brautpaar als Glückssäuli geschenkt. «Dabei wohnten die beiden in einer Wohnung», sagt Tubbs und schüttelt den Kopf. Die Hündin Lilly wurde von einem Bauern Tag und Nacht an einer kurzen Kette im Stall gehalten. Als eine Nachbarin ihn darauf ansprach, drohte er, Lilly mit der Mistgabel zu töten. In einer nächtlichen Aktion befreite Tubbs die Hündin und holte sie auf ihren Hof.
Mehr Druckversuche
Ist der Umgang mit Tieren in der Gesellschaft besser geworden? Tubbs schüttelt nachdenklich den Kopf. Auch jetzt würden ihr immer wieder mal Schachteln mit Enten, Hühnern, Wachteln oder gar Katzen auf den Vorplatz gelegt. Andere haben zwar den Mut, ihr zu sagen, dass sie ihr Tier loswerden möchten. Doch nicht immer mit Anstand. «Manche drohen, ihr Tier zu töten oder auszusetzen, wenn wir es nicht aufnehmen», sagt Tubbs. Solche Druckversuche hätten sogar zugenommen.
Für ihr Jubiläumsjahr wünscht sich die Lebenshof-Pionierin vor allem zweierlei:
Zum einen ein schönes Spendenaufkommen und möglichst viele freiwillige Helfer:innen und Praktikant:innen, stehen doch auf dem Hübeli aufwändige und teure Reparaturen an. «Alleine für neue Weidezäune rechne ich mit Kosten von ungefähr 40’000 Franken», sagt Tubbs. Zum anderen möchte sie endlich ihren Hof in neue, frische Hände übergeben können. Schon seit zehn Jahren suche sie eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger – lange vergeblich.
Nun hat sie einen perfekten Nachfolger gefunden: den aus dem Iran stammenden Tierarzt Arash Shahabpour. Er flüchtete vor drei Jahren aus der Ukraine, wo er eine Kleintierpraxis betrieb, in die Schweiz. Seither hilft er auf dem Hübeli und fungiert inzwischen auch als Präsident des Vereins Tier-Asyl Hübeli. «Es ist ein Riesenvorteil, eine solche Fachperson auf dem Hof zu haben – und Arash würde das Tier-Asyl gerne übernehmen», sagt Rita Tubbs. Allerdings ist das mit seinem Aufenthaltsstatus in der Schweiz nicht ohne Weiteres möglich. Tubbs hofft, dass sich dies klären wird. Es wäre für sie das schönste Geschenk zum Geburtstag ihres Gnadenhofs.

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