Tierethik - was bedeutet das?
"Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu"
Diese Goldene Regel der Ethik gilt als mögliche Grundlage eines friedlichen Miteinanders. Aber worum geht es in der Ethik eigentlich? Für uns geht es nicht nur um den Umgang der Menschen untereinander, als vielmehr darum, Tiere und Natur miteinzuschliessen.
Warum sich ProTier für Ethik stark macht
Für uns ist Ethik kein beiläufiges Thema – sie ist das Fundament jeder Handlung, jedes Einsatzes und jeder Forderung. Tierschutz ist mehr als das Retten einzelner Tiere – er stellt uns vor grundlegende Fragen: Darf der Mensch das Wohl und das Leben von Tieren seinen Zwecken unterordnen? Welche moralischen Pflichten hat er gegenüber allen Lebewesen? Wer hat welche Rechte? Und warum? Wie gehen wir mit anderen Lebewesen um? Was ist fair, was ist gerecht? Für uns ist deshalb klar: Ohne Ethik kann es keinen echten Tierschutz geben.
Was genau bedeutet eigentlich Ethik?

Ethik bedeutet, über unser eigenes Handeln nachzudenken – nicht nur danach, was erlaubt ist, sondern danach, was richtig ist. ProTier sieht darin eine zentrale Aufgabe: Menschen zum Nachdenken anzuregen über das, was wir Tieren antun – bewusst oder unbewusst – und welche Verantwortung wir gegenüber ihnen tragen. Tiere sind fühlende Wesen. Sie empfinden Freude, Angst, Schmerz – genau wie wir. Diese Erkenntnis sollte ausreichen, um unser Verhältnis zu ihnen kritisch zu hinterfragen. Tierethik kreist um die Verantwortung, die wir Menschen gegenüber Tieren haben. Damit wird der Mensch nicht von den Tieren abgegrenzt, aber es wird ernst genommen, dass nur wir Menschen in der Verantwortung stehen und für unser Tun und Lassen Gründe liefern müssen.
Tierethik ist also das kritische Hinterfragen unserer gegenwärtigen Praxis. Sie beginnt da, wo wir uns mit «Das war doch schon immer so» nicht zufriedengeben, sondern fragen, ob es denn auch richtig ist, so zu handeln: Ob es sich verantworten lässt, ob es dem Tier gerecht wird, ob es im Einklang steht mit unseren übrigen moralischen Überzeugungen.
Weshalb braucht es Ethik?
Die Realität sieht oft anders aus: Tiere werden zur Ware degradiert, systematisch ausgebeutet, in Käfigen gehalten oder für Produkte gequält, die wir längst nicht mehr brauchen. Warum? Weil wir es gewohnt sind. Weil es wirtschaftlich „Sinn“ ergibt. Weil sie keine Stimme haben.
Hier kommt die Ethik ins Spiel. Ethik ist das Nachdenken über das Richtige und das Gute – auch und gerade dann, wenn es unbequem wird. Sie zwingt uns, über unseren eigenen Tellerrand hinauszuschauen und die eigenen Gewohnheiten zu ändern. Sie fragt: Ist es moralisch vertretbar, Tiere zu töten, nur um Geschmack oder Gewohnheit zu bedienen? Ist es gerecht, Lebewesen als Mittel zum Zweck zu behandeln, wenn wir Alternativen haben? ProTier fordert dazu auf, genau diese Fragen nicht länger zu verdrängen, sondern offen zu stellen.
Ethisches Nachdenken ist deshalb häufig unbequem. Es stellt unsere gängige Praxis und manche tiefverwurzelte Gewissheit in Frage. Wir sollten uns deshalb nicht täuschen lassen dadurch, dass Ethik heute «im Trend» ist, denn im Grunde ist die Ethik eine Störenfriedin, die auch dann kritische Fragen stellt, wenn eine Praxis vielleicht vielen viel Spass macht, gesellschaftlich akzeptiert ist und reichlich Geld einbringt. Auch dann ist die Frage möglich und nötig: Ist es auch gut, ist es auch richtig, das zu tun? Genau dies ist das ethische Kerngeschäft.
Ethik im Zusammenhang mit Tierschutz
Tierschutz beginnt nicht erst beim Gesetz – er beginnt in unseren Köpfen. Und genau dort will ProTier ansetzen: beim Bewusstsein. Denn erst wenn wir begreifen, dass Gerechtigkeit nicht bei der menschlichen Spezies enden darf, entsteht echter, nachhaltiger Wandel. Also: Wie wollen wir leben? Und was sind wir bereit, dafür zu ändern?
Die erste Aufgabe der Tierethik ist es, den Anspruch, mit den uns Tiere konfrontieren, hörbar zu machen. Das ist essenziell, denn Tiere können nicht für sich selbst sprechen. Sie können leiden und handeln, aber sie können nicht protestieren und für ihre Rechte demonstrieren. Das können nur Menschen, die das Leiden und die Anliegen von Tieren wahrnehmen, sie ernst nehmen, artikulieren und in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Dies zu tun, erfordert nicht nur Sensibilität, Mitgefühl, Vorstellungskraft und Intelligenz, sondern auch Mut und Durchhaltewille.



Der Anspruch, mit dem uns Tiere konfrontieren, wird häufig überhört, weil Menschen Tiere nur so viel Beachtung schenken, wie es ihren eigenen Bedürfnissen und Launen entspricht. Tiere werden in einer Gesellschaft wie der unseren allzu häufig nur auf ihren Gebrauchswert reduziert. Ein Haustier soll Freude in mein Leben bringen, ergo ist es so lange wertvoll, wie es in mein Leben passt. Der Wert eines Schweinelebens bemisst sich daran, gutes Fleisch zu liefern und wirtschaftlichen Mehrwert zu bringen. Eine Versuchsmaus ist allein dazu da, dass an ihr geforscht wird. Was in all diesen Fällen aus dem Blick gerät, ist das Tier als Tier, als Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und einer eigenen Perspektive auf die Welt. Wo das Bewusstsein erwacht, dass das Tier in diesem Sinne zählt, dass es mehr ist als das, was wir Menschen an ihm haben, ist der Sinn für tierethisches Fragen geweckt. Denn das Tier setzt meiner Verfügungsgewalt und meinem Wollen und Dürfen etwas entgegen. Es ist nicht etwas, sondern jemand.
Besonders eindrücklich erlebbar ist das beim Blick in die Augen eines Tiers. Da kann passieren, dass ich realisiere: Ich schaue nicht nur, ich werde selbst angeschaut. Hinter diesen Augen ist «jemand zu Hause», ein fühlendes Wesen, eine Persönlichkeit, die gesehen, gehört und respektiert werden will. Ein Gegenüber, das mich fragt, ob ich es tatsächlich mit meinem Gewissen vereinbaren kann, es z.B. zu töten oder zu essen. Um zu zeigen, dass dieser Anspruch des Tiers gerechtfertigt ist, ist Tierethik da; und solange dieser Anspruch immer wieder überhört wird, ist die Ethik auch nötig.

Der Tierethiker Christoph Ammann ist Mitglied im Stiftungsrat von ProTier. Der Vater von drei Kindern lebt mit seiner Familie in Zürich Witikon, wo er als reformierter Pfarrer arbeitet. Er ist Präsident des «Arbeitskreises Kirche und Tiere» (AKUT) Schweiz.
Im ProTier Magazin «Tier & Mensch» schreibt Christoph Ammann regelmässig eine Kolumne zu unterschiedlichen Themen - immer unter dem Aspekt der Tierethik.





