Einst Rinderzucht, heute Lebenshof

Datum: 29. October 2025
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Bis vor fünf Jahren war der Bruffhof im Emmental ein Rinderaufzuchtbetrieb. Dann stiessen die beiden Töchter einen Wandel an: Die ganze Familie half mit, aus dem Bauernhof einen Lebenshof zu machen. Mit Erfolg.

Der Blick von der Weide des Bruffhofs ist traumhaft: In der Nähe die liebliche Hügellandschaft des Emmentals, in der Weite gegen Osten der Pilatus, in Richtung Norden der Weissenstein. «Bei guter Fernsicht sehen wir bis in den Schwarzwald», sagt Franz Schwarz und lächelt. Derweil deutet seine Tochter Miriam in Richtung Südwest, wo hinter dem Hof ein Hang bis zum Waldrand ansteigt, und sagt: «Von dort oben ist der Ausblick noch besser.»

Die Hereford-Rinder scheren sich nicht um solche Details bei der Weitsicht. Ihnen ist die Aussicht auf das saftige Gras vor ihren feuchten Nasen gut genug. Momentan haben sie sich zum Ausruhen und Wiederkäuen in den Schatten einer Hecke zurückgezogen. Doch als Franz, seine Frau Rita und die beiden Töchter Miriam und Carolin einige Schritte auf sie zu machen, kommt Leben in die Herde. Und Grimlin, ein mächtiger, vierjähriger Ochse, lässt sich in die Mitte nehmen, um mit der Familie für den Fotografen zu posieren.

Die Szene könnte sich auf irgendeinem idyllisch gelegenen Bauernhof abspielen. Was jedoch den Bruffhof in Obergoldbach BE von den allermeisten anderen Höfen der Schweiz unterscheidet, ist das Schicksal der Tiere. Der Bruffhof ist ein Lebenshof. Die insgesamt 13-köpfige Hereford-Kuhherde, die 7 Ziegen, die 18 Hühner, die 7 Kaninchen und 3 Meerschweinchen: Sie alle müssen keinen Nutzen in Form von Fleisch, Milch, Fell oder Eiern bringen, sondern dürfen einfach leben. Hier hat jedes Lebewesen das Recht, ein möglichst glückliches, gesundes und langes Leben zu führen.

Tränen – und ein offenes Ohr

Und noch etwas ist speziell: Der Lebenshof ist ein Projekt der ganzen, vierköpfigen Familie. Er entstand, etwas überspitzt gesagt, weil die Töchter aufbegehrten. Bis vor fünf Jahren war der Bruffhof ein herkömmlicher Bauernbetrieb. Anfang der 1990er-Jahre hatten Rita und Franz Schwarz den Hof und die dazu gehörenden acht Hektar Land von seinen Eltern übernommen. «Zuerst betrieben wir Milchwirtschaft und bauten etwas Getreide und Kartoffeln an», erzählt er. «Doch weil wir beide einem Nebenerwerb nachgingen und diese Arbeit mit der Zeit ausbauten, wurde das Melken zum Problem.»

«Doch jedes Mal, wenn ein Tier zum Metzger musste, gab es bei uns Tränen.» Franz Schwarz

Die junge Familie stieg in die Rinderaufzucht ein – und baute während mehreren Jahren Kräuter für den Bonbon-Hersteller Ricola an. Der Betrieb gehörte zu den ersten im Bernbiet mit agrotouristischen Angeboten wie Schlafen im Stroh. Und es kamen ein paar Mutterkühe der Rasse Hereford hinzu. Das Fleisch der Jungrinder verkaufte Franz unter dem Natura-Beef-Label. «Doch jedes Mal, wenn ein Tier zum Metzger musste, gab es bei uns Tränen», erzählt er.

Miriam und Carolin begannen, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren und verstanden immer weniger, weshalb die Tiere zur Schlachtbank gebracht werden mussten. Manch ein langjähriger Landwirt hätte ihre Bedenken und Proteste wohl als jugendliche Utopien zurückgewiesen – und weitergemacht wie bisher. Franz hingegen nahm seine Töchter ernst. «Aber ich sagte, eine Alternative müsste auch finanziell realistisch sein», erzählt er.

Auf dem Bruffhof hat jedes Lebewesen das Recht, ein möglichst glückliches, gesundes und langes Leben zu führen.

Wertvolle Tipps zur Umstellung

Also begann Miriam sich zu informieren und Möglichkeiten auszuloten. Schliesslich stellte sie der Familie die Idee vor, den Mutterkuhund Aufzuchtbetrieb in einen Lebenshof umzuwandeln. Sie und Vater Franz besuchten Umstellungsberatungen, die der Hof Narr in Egg ZH unter dem Namen TransFARMation durchführt. «Die Tipps von Sarah Heiligtag und ihrem Team haben uns enorm geholfen», erzählt Miriam. «Sie haben uns auch glaubhaft aufgezeigt, wie ein Lebenshof mittels Patenschaften finanziert werden kann.»

Im Jahr 2020 ist es dann so weit: Familie Schwarz startet ihr Projekt Lebenshof. Der Verein Hof Narr unterstützt den Bruffhof während der Umstellungszeit finanziell – und kauft sogar zwei Rinder, deren Schlachtvertrag eigentlich bereits unterzeichnet ist.

Einander neu kennengelernt

Im Sommer 2021 kommen auf dem Bruffhof die letzten Kälbchen zur Welt. Es sind zwei Mal Zwillinge: Wanda und Anouk sowie Izzy und Barnabas. Im Jahr darauf endet schliesslich die Zusammenarbeit zur Rinderaufzucht für einen befreundeten Bauernbetrieb. Seither betreiben Franz, Rita, Miriam und Carolin den Lebenshof mit vereinten Kräften. Alle gehen daneben noch einer Arbeit nach. «Aber uns ist wichtig, dass sich der Hof selbst finanziert und wir nicht arbeiten gehen, um den Hof zu finanzieren», sagt Franz. «Und wir sehen, dass das funktionieren kann.»

Möglich ist das nur dank Pat:innen und der Unterstützung durch Private oder Stiftungen wie ProTier. «Die finanzielle Unterstützung durch ProTier, das ProTier Lebenshof-Netzwerk und die Hoftage sind für uns enorm wichtig», sagt Miriam. Trotzdem, ergänzt Carolin, sei das Betreiben eines Lebenshofs ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Springen Patinnen und Paten ab? Finden sich neue Einnahmequellen? «Für die beiden Ochsen Grimlin und Barnabas suchen wir beispielsweise momentan Menschen, die eine Patenschaft übernehmen», sagt Miriam.

Auch die Betreuung von alten, schwachen oder kranken Tieren ist herausfordernd. Schwierige Entscheidungen gehörten auf einem Lebenshof dazu, sagt Carolin. «In solchen Fällen sind wir nicht immer gleicher Meinung, was das beste Vorgehen ist. Aber am Ende finden wir uns.» Mutter Rita findet sogar, die Hofumstellung habe die Familie zusammengeschweisst. «Bei einem solchen Neuanfang lernt man einander neu kennen», sagt sie.

Anhängliche Ziegen, Güggel mit Tape

Auf dem Hofrundgang merkt man, wie gut die vier ihre Tiere kennen und mit wie viel Hingabe sie sich um ihre Schützlinge kümmern. Im Ziegengehege sucht Hanspi, ein strahlend weisser Bock, sofort die Nähe von Carolin, um mit ihr zu schmusen. Im Hühnerhof zeigt Miriam auf den hinkenden Güggel Emil. «Er leidet unter Arthrose und hat Mühe mit Laufen», erzählt sie. «Wir haben diverses ausprobiert. Schliesslich haben wir begonnen, sein Bein zu tapen. Nun geht es viel besser.» Im Kaninchenstall ist vieles neu: Erst kürzlich sind vier Kaninchen auf den Bruffhof gekommen. «Jemand hatte sie auf einer Dachterrasse gehalten», erzählt Miriam. Nun geniessen sie den grosszügigen Auslauf auf der Wiese.

Zum Betreiben eines Lebenshofs gehört es aber auch, Nein sagen zu können. Denn der Bruffhof wird von Anfragen überhäuft: Mal möchte jemand ein Kaninchen abgeben. Mal hat jemand aus Mitleid einem Bauern ein Kälbchen oder Schwein abgekauft – ohne zu wissen, wo er das Tier unterbringen soll. «Leider ist unser Platz beschränkt», sagt Miriam. Carolin ergänzt: «Wir müssen auch spüren, ob ein Tier zu uns und in die Herde passt.» Rita und Franz nicken, man ist sich einig. Man merkt: Hier ziehen alle am selben Strang, für das Wohl der Tiere. Sie wissen, dass ein Lebenshof ein Langzeitprojekt ist. Wer sich, seine Kräfte und seine Möglichkeiten überschätzt, schadet am Ende seinen Tieren mehr, als ihnen zu helfen.

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