Strategiewechsel in der Katzenkastration

Datum: 05. December 2023
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Seit 40 Jahren unterstützt ProTier Landwirt:innen mit vergünstigten Kastrationen, um damit einen aktiven Beitrag gegen das Katzenelend zu leisten. Doch längst reichen solche Vergünstigungen nicht mehr aus, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. Es ist deshalb Zeit für einen Strategiewechsel. Für diesen hat ProTier die Unterstützung beim Profi geholt: NetAP – Network for Animal Protection.  

Obwohl der Tierschutz seit Jahrzehnten laufend Aufklärungsarbeit leistet und auch gezielt Kastrationsaktionen durchführt, bleibt das Thema aktueller denn je. Denn auch in der Schweiz leben auf Landwirtschaftsbetrieben, in Schrebergärten, auf Fabrikarealen und Industriebrachen Tausende von herrenlosen und ausgesetzten Katzen, um die sich niemand kümmert und die sich laufend weiter vermehren.  

ProTier war zu Beginn der 1980er-Jahre eine der ersten Organisationen überhaupt, die die Kastration von freilebenden Katzen und von Hofkatzen propagierte und förderte. Seit knapp 40 Jahren geben wir Kastrationsgutscheine an Landwirt:innen ab, die ihre Tiere kastrieren lassen. Wir beteiligen uns sowohl an den Kosten für Kätzinnen als auch an denjenigen für Kater. Mit dem Strategiewechsel wollen wir alle Katzen auf dem einen Hof erfassen und all denn da lebenden und streunenden Katzen kastrieren und ihren Gesundheitszustand überprüfen – dies wird nachhaltiger sein, die Gesundheit der kastrierten Katzen gefördert und der rasanten Vermehrung entgegengehalten.

Wir durften mit Esther Geisser, der Präsidentin von NetAp Schweiz, zum Thema Katzenelend und Katzenkastration ein Interview führen: 

ProTier: Wie gross ist das Katzenleid in der Schweiz? 

Esther Geisser: Es ist sehr gross und im ganzen Land zu finden. Gemäss dem Verband für Heimtiernahrung leben heute bereits fast 1.9 Millionen Katzen in Schweizer Haushalten. Hinzu kommen zwischen 100'000 und 300'000 herrenlose Tiere, die alle ihren Ursprung bei Haltern haben, die nicht kastrieren wollten. Katzen sind sehr fruchtbar und vermehren sich selbst unter harten Lebensbedingungen stark. Rein rechnerisch können aus einem einzigen Katzenpaar in zehn Jahren 80 Millionen Katzen entstehen. Dass es nicht so weit kommt, liegt daran, dass die meisten Katzen vorher an Hunger, Krankheiten oder Unfällen sterben. Und weil sie aktiv getötet werden. Wir gehen von etwa 100'000 getöteten Katzenkindern pro Jahr aus.  

ProTier: Wie kommt es zu dieser Überpopulation?

Esther Geisser: Es wird viel zu wenig kastriert. Obwohl bereits heute Art. 25 Abs. 4 der Tierschutzverordnung vom Halter verlangt, die zumutbaren Massnahmen zu treffen, um eine übermässige Vermehrung der Tiere zu verhindern, wird diese Bestimmung durch die Vollzugsbehörden kaum angewandt. Halter kastrieren aus den unterschiedlichsten Gründen nicht. Manche glauben, die Katzen würden keine Mäuse mehr fangen, andere wollen kein Geld für die Tiere ausgeben, finden eine Kastration widernatürlich oder ihr Büsi so speziell, dass man unbedingt die Welt mit dessen Nachkommen bereichern will. Und wieder anderen geht es einfach um den Jö-Effekt, den Katzenkinder zweifelsohne bieten, oder sie wollen ihren Kindern zeigen, wie Leben entsteht. Egal aus welchem Grund man nicht kastriert – immer bleibt es ein egoistischer, der bewusst das ganze damit verbundene Katzenelend ausblendet. Und Tierschutzorganisationen haben leider keine behördlichen Kompetenzen und können keine Halter zwingen, ihre Katzen kastrieren zu lassen.  

ProTier: So viele Organisation haben über Jahre finanzielle Unterstützung für Kastrationen geleistet. Warum wurde die Situation trotzdem schlimmer? 

Esther Geisser: Weil die blosse Übernahme von Kosten oder die Kastration von wenigen Tieren allein nicht nachhaltig wirken kann. Nur wer sich verpflichtet, wirklich alle Katzen kastrieren zu lassen und nicht mehr für weiteren Nachwuchs sorgen will, sollte unterstützt werden. Anderenfalls wird die Situation in zwei, drei Jahren wieder die gleiche sein.  

Eine solche nachhaltige Arbeit braucht jedoch sehr viel Zeit, Durchhaltewillen und Disziplin. Manchmal sind wir wochenlang hinter der letzten Katze einer Kolonie her, bis wir sie endlich erwischen. Erst, wenn jede einzelne Katze kastriert ist, endet der Kreislauf des Elends, zumindest in dieser Katzengruppe. Diese Geduld haben leider nur die wenigsten.  

ProTier: Ist das Katzenelend vor allem ein Problem in der Landwirtschaft? 

Esther Geisser: Tatsächlich sind wir sehr häufig auf Landwirtschaftsbetrieben im Einsatz. Nicht immer aber haben all diese Katzen ihren Ursprung auf dem Hof. Oft sind es zugelaufene oder ausgesetzte Katzen, die sich dann auf dem Betrieb vermehren. Fälschlicherweise gelten Katzen nach wie vor als kostengünstig und pflegeleicht, so dass sich viele Menschen unüberlegt eine anschaffen. Merken sie, dass die Tiere Ansprüche haben, Dreck und vor allem auch Kosten verursachen oder ganz einfach nicht mehr zu den veränderten Lebensumständen passen, will man sie schnell wieder loswerden. Das konnte man nach der Pandemie mehr als deutlich beobachten. Da die Tierheime oft bereits voll sind oder eine Abgabegebühr verlangen, setzt man das Tier dann einfach irgendwo aus und überlässt es seinem Schicksal. So kommt es vor, dass auch vorbildliche Landwirte, die sämtliche eigenen Tiere kastriert haben, sich immer mal wieder mit einem Neuzugang konfrontiert sehen. Wenn sie dann nicht sofort handeln, werden es sehr schnell wieder (zu-)viele.  

ProTier: Ihr sprecht jeweils davon, die Katzen würden euer «NetAP-Programm» durchlaufen. Was muss man sich darunter vorstellen? 

Esther Geisser: Als Tierschutzorganisation betreiben wir nicht nur blosse Populationskontrolle. Wir wollen den Tieren, die in unseren Einflussbereich kommen, umfassend helfen. Das bedeutet, dass jedes Tier zuerst klinisch untersucht wird und nebst der Kastration eine Behandlung gegen innere und äussere Parasiten, die Impfung gegen Katzenschnupfen und Katzenseuche, eine Markierung und weitere notwendige medizinische Eingriffe oder Behandlungen erhält. Unsere Patienten sollen sich wohlfühlen, wenn sie wieder in ihr Revier zurückkehren, auch wenn das vielleicht bedeutet, dass wir zuvor eine teure Zahnsanierung vornehmen oder für eine Umplatzierung sorgen müssen. Letzteres gestaltet sich meist als besondere Herausforderung, wenn es sich um ältere, scheue, verwilderte oder behinderte Tiere handelt. Fast die Hälfte aller Katzen, die unser Programm durchlaufen, haben spezielle Bedürfnisse.  

ProTier: Was muss deiner Meinung nach passieren, dass wir das Katzenelend in der Schweiz in den Griff bekommen? 

Esther Geisser: Die Arbeit von Tierschutzorganisationen wie von ProTier, ist zweifelsohne elementar. Es muss aber gleichzeitig endlich eine Kastrationspflicht im Gesetz verankert werden. Dafür muss die Politik endlich aktiv werden. Das Tierschutzgesetz ist ein Bundesgesetz und eine Kastrationspflicht müsste auf Bundesebene in die Verordnung einfliessen und kann nicht einfach an die Kantone delegiert werden, die ohnehin nicht gewillt sind, entsprechende Regelungen einzuführen bzw. für den korrekten Vollzug des Tierschutzrechts zu sorgen. Das Absurde am Ganzen ist, dass von keiner Partei je bestritten wurde, dass es ein Katzenelend in der Schweiz gibt. Nur scheint man offensichtlich kein Interesse an einer Lösung zu haben.  

Bei einer Kastrationspflicht für Freigängerkatzen käme das Verursacherprinzip zur Geltung, sie würde den Staat nichts kosten. Heute aber werden die verantwortungslosen Tierhalter vom Gesetz geschützt und es wird Tierschutzorganisationen wie NetAP überlassen, für die Tiere einzustehen, obwohl sie über keinen gesetzlichen Auftrag und entsprechende Kompetenzen verfügen. Wir kastrieren in der Schweiz jährlich um die 1500 Katzen.  

ProTier: Wie haben die Anfrage der Zusammenarbeit mit ProTier aufgenommen?

Wir freuen uns, wenn wir Gleichgesinnte wie ProTier an die Front mitnehmen und auch «on the job» für ein professionelles, nachhaltiges und tiergerechtes Vorgehen schulen dürfen. Gemeinsam erreichen wir mehr. Der Strategiewechsel von ProTier betreffend Katzenkastrationen wird deshalb dazu beitragen, das Elend an vielen Orten zum Verschwinden zu bringen.  

Die Organisation NetAp

Esther Geisser ist Juristin, hat ein Diplom als Kleintier-Verhaltenstherapeutin und eines als Tierbetreuerin FBA. Sie ist seit Kindertagen im Tierschutz und besonders im Katzenschutz aktiv. 2008 hat sie NetAP Schweiz gegründet.  

NetAp Schweiz ist die einzige Organisation die in fast allen Kantonen direkt an der Front im Einsatz ist. NetAP Europa wurde 2008 gegründet und hat seither weltweit über 220'000 Kastrationen vorgenommen. Im 2018 konnte NetAp Schweiz mit über 115'000 Unterschriften eine Petition für eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen in Bern eingereicht werden. Auch ProTier hatte diese dringliche Forderung unterstützt. 

Mehr Informationen zu NetAp finden Sie hier.

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