Er rückt aus, wenn Elefanten, Pferde, Nashörner oder Kühe in Not sind

 

Von Patrick Schneider

Der Grosstier-Rettungsdienst stellt in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein einen flächendeckenden Rettungsdienst für in Not geratene Grosstiere bereit – ähnlich der Rega oder dem Notruf 144 für Menschen. Tierärzte, die Feuerwehr, Polizei, Bauern und Privatpersonen bieten den Rettungsdienst auf, wenn Grosstiere wie Kühe oder Pferde in einer Notsituation stecken, aber auch Zoos, wenn beispielsweise ein Elefant oder ein Nashorn Hilfe braucht.

Es war ein verschneiter und kalter Februartag, als ich den Grosstier-Rettungsdienst von Ruedi Keller in Embrach besuchte. ProTier unterstützt den Rettungsdienst, und ich möchte hiermit die Gelegenheit nutzen und Ihnen von dieser einzigartigen Organisation berichten.

Ruedi Keller ist der Gründer und Präsident des Grosstier-Rettungsdiensts. Er betreibt den Rettungsdienst ehrenamtlich und ist zusammen mit 40 Kolleginnen und Kollegen, an sechs Standorten in der Schweiz, in ständiger Bereitschaft.

 

Schon als Kind haben ihn die grossen Tiere mehr fasziniert als die kleinen. Er ist gelernter Bootsbauer und hauptberuflich im Seiler- und Sattlergewerbe tätig. Neben den Rettungseinsätzen baut Ruedi Keller mit seinem Vater die Ambulanzfahrzeuge um, entwickelt und schweisst neues Rettungsmaterial, konfektioniert neue Netze oder näht Material für die Notfalleinsätze.

Die ganze Familie lebt für den Grosstier-Rettungsdienst. Draussen stehen drei Rettungsfahrzeuge, im Keller ist die Einsatzzentrale des Rettungsdiensts eingerichtet, im Waschraum hängen die Rettungskleider, im Nebenraum stehen Nähmaschinen, um Netze oder diverses Rettungsmaterial selbst anzufertigen. "Die Familie Keller hat sich mit Leib und Seele der Rettung von Grosstieren verschrieben".

Den Grosstieren verpflichtet

Ruedi Keller betreibt den Grosstier-Rettungsdienst als Hobby. Selbstlos ist er 24 Stunden für in Not geratene Tiere in Bereitschaft. "Es macht mir nichts aus, rund um die Uhr und übers ganze Jahr einsatzbereit zu sein", sagt er. Was für eine Leidenschaft, Tiere retten zu wollen!

"Ich glaube, dass uns Menschen die Tiere von der Schöpfung zur Freude gegeben wurden. Auf jeden Fall wäre für mich ein Leben auf Erden ohne die Vielfalt der wunderbaren Tierwelt völlig trostlos und unvorstellbar. Wir tragen die Verantwortung für alle unsere leidenden Mitgeschöpfe". Aus dieser Überzeugung betrachtet Ruedi Keller die Tiere als seine Freunde, Kameraden und wertvolle Mitbewohner unserer Erde.

Und plötzlich bin ich mittendrin.

Ein Notfall kommt rein. Ruedi Keller sitzt in seiner Einsatzzentrale und telefoniert mit dem Tierarzt vor Ort. Eine 25-jährige Stute hat eine schwere Kolik und muss raschest möglich ins Tierspital verlegt werden.  "Eine Kolik ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das heisst ein Schmerz, der vom Magen-Darm-Trakt des Pferdes ausgeht. Die Kolik ist die Nummer eins der natürlichen Todesursachen beim Pferd".

Von der Einsatzleitzentrale ELZ, von Schutz und Rettung Zürich, der Kantonalen Einsatzzentrale für die Feuerwehr 118, der Sanität 144, dem GTRD und dem Zivilschutz werden alle wichtigen Informationen und Koordinaten per Konferenzgespräch gesammelt und auf den PC übermittelt und diese ordnet in diesem Fall auch gleich eine Dringlichkeitsfahrt mit Sondersignalen an. Der Notfall geht vor und unser Interview wird selbstverständlich abgebrochen. Dafür bin ich überraschend mittendrin und darf beobachten, wie Ruedi Keller die nötigen Papiere und das Einsatzmaterial bereitstellt. Sehr durchdacht und in einer ruhigen Eile. Jeder Handgriff sitzt. Draussen schliesst er den Anhänger am Wagen an und montiert die Notfalltafeln. Ruedi Keller wirkt in seiner Arbeitskleidung und routinierten Sprechweise am Telefon fast wie der Kommandant einer Feuerwehrtruppe – erfahren, ruhig und fokussiert. Diese Eigenschaften sind bei den spektakulären Einsätzen dann auch gefragt.

Schon als Bub half Ruedi Keller regelmässig bei seinem Onkel auf dem Bauernhof. Er ist also, wie er selbst sagt, "mit einem Bein in der Landwirtschaft aufgewachsen". Ihn hätten stets die grossen Tiere besonders fasziniert, "ihre Kraft und ihr sanftes Wesen". Später als Pferdehalter und von Pferdetierarzt Prof. Björn von Salis inspiriert, wurde Keller bewusst, dass es für Grosstiere keinen organisierten Rettungsdienst gab. Brach sich ein Pferd ein Bein oder stürzte eine Kuh in die Jauchegrube, rückte in der Regel die Feuerwehr aus und versuchte mit improvisierten Mitteln, das Tier zu bergen.

Ruedi Keller und einige Gleichgesinnte beschlossen Abhilfe zu schaffen und gründeten deshalb 1997 die Grosstierrettung. Der Dienst funktioniert gleich wie die Ambulanz für Menschen. Das Personal verfügt über eine technische Ausbildung und tiermedizinisches Wissen. Die Fachausbildung erhalten die Retter am Tierspital Zürich, das seit Beginn auch die Standards für die Schulungen setzt.

"Ich fühle mich verpflichtet, unserer Erde Sorge zu tragen so gut ich kann, damit auch die Menschen nach mir noch einen schönen Planeten vorfinden. Es fühlt sich wunderbar und sehr bereichernd an, wenn ich meinen Fähigkeiten entsprechend sinnvoll helfen kann". Gemäss Ruedi Keller spielt es wahrscheinlich keine Rolle, wo man sich einsetzt, Hauptsache, man tut es.

Wie birgt man ein Pferd aus einem "Gülle"-Loch?

Vielfach kann die gesundheitliche Situation des Tiers am Unfallort schlecht eingeschätzt werden und auch bei vielen Fällen, die auf den ersten Blick schrecklich aussehen, kann eine genaue Diagnose mit entsprechender Prognose erst in einer spezialisierten Tierarztpraxis oder in einem Tierspital gestellt werden. Genau hier setzt der Rettungsdienst an und sorgt, immer in Zusammenarbeit mit Tierärzten und der Feuerwehr, für eine hochstehende Bergungs- und Transporthilfe für Grosstiere.

Eine Rettung hat ihren Preis

"Tiere geben den Menschen als ‹Nutz›tiere oder Heimtiere viel, sie sind einfühlsam, unterhaltsam und seelenvoll", sagt Keller. Entsprechend solle der Mensch helfen, wenn eines dieser Mitgeschöpfe in Not sei. Eine Rettungsaktion kostet zwischen 1000 und 3000 Franken, in Ausnahmefällen bis zu 5000 Franken. Pferdebesitzer können die Rettungskosten über die Horse Rescue-Mitgliedschaft abdecken und bei den Einsätzen für die landwirtschaftlichen "Nutz"tiere hilft eine Stiftung bei der Kostendeckung.

Im Jahr 2020 rückte Ruedi Keller und sein Team zu über 500 Einsätzen aus und auch in diesem Jahr mussten sie bereits über 80-mal Tieren in Not helfen. Ruedi Keller unterstützt zudem die Feuerwehr mit praktischen Kursen zur Rettung von Grosstieren.

Im nächsten Jahr feiert der Grosstier-Rettungsdienst sein 25-Jahr-Jubiläum. ProTier darf Partner und Förderer dieser einmaligen Einrichtung sein.