Angst- und stressfrei ins Tierspital

Datum: 30. June 2022
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Viele Tiere gehen ungern zum Tierarzt oder zur Tierärztin. Einige haben sogar so grosse Angst, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen, als sich Krallen und Zähnen zu wehren. Weiterbildungsprogramme für tiermedizinisches Personal, wie das Fear Free®-Programm, versuchen hier Abhilfe zu schaffen. Das ganze Team – vom Empfangspersonal über Praxisassistenten bis hin zu Tierärztinnen – wird in diesem Bereich ausgebildet. Ziel ist, alle auf Stressanzeichen der Patienten zu sensibilisieren und möglichst angst- und stressfreie Untersuchungs- und Behandlungsmethoden einzusetzen. 

Der Besuch beim Tierarzt würden sich viele Tiere gerne ersparen. Während einige nur leicht gestresst sind, haben andere richtig Angst davor. Angst und Stress sind nicht nur emotional belastend, sondern können auch negative Auswirkungen auf den Körper haben, wie z.B. eine verlängerte Genesungszeit. Zudem verschlimmern sich Angst und Stress mit jedem negativen Erlebnis, so dass der Tierarztbesuch von Mal zu Mal schwieriger werden kann. Dies kann mitunter sogar gefährlich werden, sowohl für das tiermedizinische Personal als auch für Tierhalter:innen, wenn ein Tier aus Angst um sich beisst. 

Das Fear Free®- möchte hier Abhilfe schaffen. Ziel der Online-Weiterbildungsreihe aus den USA ist es, das tiermedizinische Personal auf Anzeichen von Angst und Stress der tierischen Patienten zu sensibilisieren, im richtigen Umgang mit Hunden und Katzen zu schulen und stressfreie Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aufzuzeigen. Der Grundpfeiler ist das Erkennen der teils sehr feinen Anzeichen von Stress in der Körpersprache der Tiere und ein tiergerechter Umgang.

«Diese Verlangsamung der Bewegungen oder das komplette Erstarren des Tiers werden oftmals als Kooperation missdeutet, weil das Tier alles mit sich geschehen lässt.»

Dr. med. vet. Valeria Meier

Luna und ihre Angst vor dem Tierspital

Hund Luna besuchte das Tierspital anfangs gar nicht gerne. Besonders grosse Angst hatte sie sich vor dem Piks der Blutentnahme. Sie zeigte das, indem sie «einfror». Diese Verlangsamung der Bewegungen oder das komplette Erstarren des Tiers werden oftmals als Kooperation missdeutet, weil das Tier alles mit sich geschehen lässt. Hier ist grosse Erfahrung im Lesen der Körpersprache gefragt. Einfrieren ist nämlich ein Zeichen von grosser Angst. Auf der Fear Free®-Skala, die das Stress- und Angstlevel eines Tiers von 1 bis 5 einteilt, ist dies bereits eine Stufe 4. Wird das Tier – aus seiner Sicht – weiterhin bedrängt, kann es sein, dass es sich nicht anders zu helfen weiss als mit Beissen. Hunde- und Katzenbisse können ernstzunehmende Verletzungen hervorrufen und müssen sofort ärztlich behandelt werden.  

Die Fear Free Skala

Das tiermedizinische Team rund um Luna hat ihre grosse Angst erkannt und im Gespräch mit der Tierhalterin thematisiert. Laut einer Studie ist die Angst des Tiers für viele Tierhalterinnen ein Grund dafür, die Tierärztin nicht oder nur im Notfall aufzusuchen. Meist sind Tierhalter von speziell ängstlichen Hunden deshalb froh, wenn dies vom fachkundigen tiermedizinischen Team erkannt und angesprochen wird.

Um für Luna die benötigte Strahlentherapie so stressfrei wie möglich zu gestalten, suchte die Tierhalterin das Wartezimmer vor Beginn der Behandlung bereits ein paar Mal auf, setzte sich hin und gab Luna ihren Lieblingskauartikel. Luna hatte das Wartezimmer somit bereits ein wenig positiv in Erinnerung, als sie das erste Mal zur Behandlung erschien. Weitere Massnahmen wie ein beruhigendes und angstlösendes Medikament vor der Behandlung, eine Salbe mit Lokalanästhetikum und eine Schleckmatte nach der Behandlung sorgten dafür, dass die Tierhalterin ihre Luna gegen Ende der Therapie nicht wiedererkannte. Während Luna sonst um jede Tierarztpraxis und das Tierspital einen grossen Bogen machte, wusste sie am Ende der Behandlung genau, wo sich das Wartezimmer der Strahlentherapie befand, und zog jeweils an der Leine schnurstracks dorthin. Die Freude, wenn Luna das tiermedizinische Team schwanzwedelnd begrüsste, war nicht nur bei der Tierhalterin, sondern auch bei unserem Team der Radio-Onkologie sehr gross.  

Nicht bei allen Hunden und Katzen gelingt es, dass sie gerne ans Tierspital kommen. Indem sich das tiermedizinische Team aber kontinuierlich im Bereich Fear Free®-Methoden weiterbildet, kommen wir diesem Ziel Schritt für Schritt näher.  

So können Sie helfen, Angst und Stress reduzieren:

  • Seien sie anwesend. Ihre Präsenz wirkt auf das Tier beruhigend.
  • Angst und Stress können vor dem Tierspitalbesuch durch Medikamente reduziert werden. So macht das Tier eine positive Erfahrung und merkt, dass ein Tierarztbesuch gar nicht so schlimm ist.
  • Üben Sie Allgemeinuntersuchungen wie Zähne und Ohren anschauen oder Bauch abtasten regelmässig Zuhause.
  • Verbinden Sie eine solche Untersuchung mit positiven Erlebnissen, wie Futterbelohnung oder Spiel

Dr. med. vet. Valeria Meier

ist Oberärztin mit Spezialisierung in Strahlentherapie in der Abteilung für Radio-Onkologie des Tierspitals Zürich. Sie interessiert sich sehr für Tierverhalten, Hundetraining und den stressfreien Umgang mit Hunden und Katzen. Deshalb ist sie Mitglied des Fear Free®-Komitees des Tierspitals Zürich, das sich für einen möglichst stressfreien Umgang mit Patientinnen und Patienten am Tierspital einsetzt.