Alle Affen sind gleich, aber manche sind gleicher als andere – Gastbeitrag von Professor Markus Wild

 

Markus Wild ist Philosophie-Professor an der Universität Basel und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Geist der Tiere. Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehört die Tierphilosophie.

8. Februar 2022

Im Februar 2022 findet im Kanton Basel-Stadt eine historische Abstimmung statt. Sollen Primaten Grundrechte erhalten? Genauer fordert eine Volksinitiative ein Recht auf Leben sowie ein Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit für nicht-menschliche Primaten. Zwar sind Menschen auch Primaten, aber nur sie haben Rechte. Wie heisst es so treffend in George Orwells Fabel Animal Farm? «All animals are equal, but some animals are more equal than others». Kann man gleicher sein? Aus solchem Unsinn wurde schon immer das krumme Schlagholz der Unterdrückung geschnitzt.

Die Basler Abstimmung ist jetzt schon historisch. Zum ersten Mal konnten Menschen demokratisch eine Revolution entscheiden: die Gewährung von Rechten über die blutrote, beinharte Grenze der menschlichen Spezies hinaus. Ein kleiner Schritt für Basel, doch ein grosser Schritt für die Menschlichkeit. Doch der Widerstand war gross. Die Initiative wurde 2018 vom Basler Parlament für ungültig erklärt und musste sich durch zwei Gerichtsverfahren hindurch den Weg vors Volk erstreiten. Sie wurde von zwei fortschrittlichen Kantonsparteien unterstützt: Rot und Grün. Der Basler Zoo führte ein NEIN-Komitee an, das Vertreter (hier braucht es keine weibliche Form) der Basler Pharma-Industrie, der biomedizinischen Forschung und der Regierung um sich scharte. Sie wollen sich das Vorrecht sichern, nach Gutdünken über Leben und Gesundheit dieser Tiere zu entscheiden. Zwar ist der Mensch seit Darwin nicht mehr Krone der Schöpfung, aber er ist nach wie vor ihr absoluter Herrscher über Leben und Tod.

Warum dieser Widerstand? Man vergisst oft, dass Zoos Zuchtprogramme sind. Manche Tiere eignen sich nicht dafür oder es herrscht Platzmangel, also werden sie getötet. Schenkt man internen Papieren des Dachverbands der europäischen Zoos (EAZA) Glauben, wird dies für den Westlichen Flachlandgorilla bald der Fall sein. Die Zucht produziert «überzählige» Männchen. Deshalb überlegen sich Zoos, ob sie diese Männchen in Zukunft isolieren, kastrieren oder töten wollen. Es geht um gesunde Tiere einer stark bedrohten Art. In den Medien wird von Whistleblowern aus dem Basler Zoo berichtet, die Zuchtzwang, Mobbing und Missmanagement bei Gorillas und Schimpansen als «schlechte Tierhaltung im Zoo» kritisieren.

In Diskussionen ist mir immer wieder aufgefallen, dass viele Menschen meinen, Tiere hätten doch Rechte. Mitnichten. Tiere stehen zwar unterm Schutz des Rechts, sie haben aber keine Rechte. Rechtlich gesehen ist die Tötung eines Tieres eine Sachbeschädigung und verletzt die Rechte des Besitzers. Rechtlich gesehen ist es erlaubt, Tieren Angst, Schmerz und Stress zuzufügen, wenn es Wissenschaft oder Wirtschaft dient. Demgegenüber können sogar Unternehmen oder Aktiengesellschaften Menschenrechte für sich geltend machen lassen, Affen jedoch nicht. Ist das nicht stossend?

In der Philosophie gibt es die Idee der Tierrechte seit über 100 Jahren. Der englische Sozialreformer Henry S. Salt hat bereits 1892 Tierrechte als ein Baustein des sozialen Fortschritts vorgeschlagen. Aus der Sicht des Rechts gibt es heute keine guten Argumente gegen eine Ausdehnung der Grundrechte auf Leben sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit auf Affen.

Die Frage ist nur: Ist Basel heute schon bereit dazu? Oder wird Barcelona, Buenos Aires, Bangkok oder Baltimore diesen historischen Schritt wagen? Denn gewagt wird er werden.