Toll, ein anderer macht’s?
Wissen Sie, was Teamarbeit ist? Team steht für «Toll, ein anderer macht’s!» Das ist kein sonderlich lustiger Witz, aber in ihm steckt mehr als ein Fünkchen Wahrheit. Man kann von ihm auch etwas über Verantwortung lernen.

Teamarbeit ist eine tolle Sache und voll im Trend. Im besten Fall ist eine gute Gruppe viel mehr als ihre einzelnen Glieder. Aber was, wenn das Teilen von Verantwortung dazu führt, dass sich der Einzelne weniger zuständig fühlt? Wer kennt das nicht: «Man sollte den Müll raustragen!» Die Chance, dass sich niemand zuständig fühlt, steigt mit der Anzahl der Menschen, die ebenfalls angesprochen sind.
Wenn ich aktuelle ethische Herausforderungen betrachte, kommt die Zuständigkeitsfrage immer wieder auf. Besonders augenfällig ist das beim Thema Konsum. Wer trägt hier die Verantwortung? Die Konsument:innen, die Konzerne, die Politik? Oder muss sich am Ende gar niemand bewegen, weil ja alles mit allem zusammenhängt und es unfair wäre, vom Einzelnen zu verlangen, er solle weniger Fleisch essen, solange alle anderen es nicht tun? Sie können «Fleisch» auch durch «Fliegen» ersetzen und und und.
Zuerst soll die Welt sich verändern, erst dann ich. Es ist wie beim Müll-Raustragen, nur leider existenzieller. Denn unter unserem masslosen Konsumieren leiden ganz konkret Men-schen in ärmeren Ländern sowie Tiere und die Natur im Allgemeinen. Es ist ein trauriger Fakt, dass gerade dort, wo Tiere ausgebeutet werden – etwa in gigantischen Schlachtfabriken – auch Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten.
Schuld ist also tatsächlich unser auf ständiges Wachstum getrimmtes Wirtschaftssystem. Aber die Tatsache, dass Fleisch systembedingt viel zu billig ist und die Nachfrage nach Fleisch ungebremst, liefert mir noch keine Rechtfertigung, selbst nichts zu tun. Spätestens wenn es um unseren eigenen Konsum geht, müssen wir dafür geradestehen. In ethischen Angelegenheiten ist die kindische Ausrede «Aber die anderen machen ja auch nichts» nichts wert.
Mahatma Gandhi sagte: «Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.» Das bedeutet nicht, dass ich mich für alle Probleme der Welt zuständig erkläre und meine, sie als heroischer Einzelkämpfer lösen zu können. Es heisst erst einmal, dass ich von anderen nichts fordere, was ich selbst nicht tue. Dann heisst es, dass ich mich auf die Dinge konzentriere, die ich verändern kann. Das eigene Konsumverhalten zum Beispiel.
Als Bewohner eines der reichsten Länder der Welt wird eine Verhaltensänderung nicht ohne Verzicht gehen. Davon hat mich auch das kluge Buch «Unsere Welt neu denken» der deutschen Politökonomin und Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel überzeugt: «Verzichten in reichen Ländern [ … heisst] eigentlich nicht mehr und nicht weniger, als darauf zu verzichten, den Planeten zu ruinieren, und dafür die Lebensgrundlagen in der Zukunft zu erhalten.» Das ist unsere geteilte Verantwortung. «Toll, ein anderer macht’s!» gibt’s hier nicht. Es ist an uns, unseren Beitrag zu leisten: als Konsument:innen, als wählende und abstimmende Bürger:innen, als aktiver Teil der Zivilgesellschaft, der sich für mehr Umweltsensibilität und Tierwohl engagieren kann und soll.

Der Tierethiker Christoph Ammann ist Mitglied im Stiftungsrat von ProTier. Der Vater von drei Kindern lebt mit seiner Familie in Zürich Witikon, wo er als reformierter Pfarrer arbeitet. Er ist Präsident des «Arbeitskreises Kirche und Tiere» (AKUT) Schweiz.