Exotische Tiere sind Biggi Kellers Leidenschaft

 

Von Martina Futterlieb

Der Verein AquaTerra-Herz kümmert sich um heimatlose Schlangen, Echsen, Spinnen und Fische, vermittelt sie nach Möglichkeit weiter, berät bei Fragen zur Haltung und betreibt Aufklärungsarbeit.

Es ist ein unscheinbares weisses Gebäude an der Hauptstrasse, die durch Rothenhausen führt, die Tür zur Strasse steht einen Spaltbreit offen. Beim Näherkommen höre ich durch den Türspalt ein Plätschern, und als ich eintrete, werde ich herzlich begrüsst von Biggi Keller, der Gründerin von AquaTerra­Herz. Sie und ihre fleissigen Helferinnen und Helfer betreiben die Auffangstation für Fische und Reptilien ehrenamtlich. Im Eingangsbereich stehen die Aquarien – grosse und kleine, alle schön sauber, voller Pflanzen und farbiger Fische.

Eine Kindheitserinnerung flammt auf: ein kleines Aquarium mit vier Goldfischen bei mir zuhause und meine Mutter, die alle zwei Wochen den verdreckten Filter und alle Dekorgegenstände schrubbt, das Kies mit der Saugglocke reinigt und eimerweise Wasser schleppt. "Wie machst Du das bloss, dass die alle so sauber sind?", frage ich. "Einige der Aquarien fassen über 1000 Liter, da wird man ja nie fertig mit dem Was­serwechseln!" Biggi lächelt über meine Kindheitserinnerung und erklärt mir, das sei ein häufiger Fehler von Aquariumbesitzern.

"Das System muss im Gleichgewicht sein"

Bei AquaTerra­Herz bräuchten sie weder Wasseraufbereitungsmittel noch ständige Wasserwechsel. Das System "Wasser­-Filter­-Untergrund-­Kleinstlebewesen­-Fische" müsse im Gleichgewicht sein, dann bleibe das Aquarium auch über längere Zeit sauber und es reiche völlig, wenn man das verdunstete Wasser nachfülle.

"Das Wichtigste sind die kleinen Schnecken hier", verrät Biggi. "Sie bearbeiten den Boden, durchlüften ihn und geben so den guten Bakterien die Nahrung, die sie brauchen. Einige von ihnen fressen auch gerne abgestorbene Pflanzenteile oder Algen und halten dadurch das Aquarium sauber. Wichtig ist ebenfalls, den Fischen frisches Gemüse ins Wasser zu geben. Sie mögen gerne Zucchini, Karotten oder Kartoffeln, und wenn sie daran knabbern können, lassen sie die Pflanzen in Ruhe. So befindet sich das System im Gleichgewicht und ich brauche nur ganz selten etwas Wasser auszuwechseln. Einmal im Monat löse ich zusätzlich etwas Heilerde in Wasser auf und gebe sie ins Aquarium, das bindet Verschmutzungen und klärt das Wasser."

"Bei Fischen herrscht leider immer noch die Meinung vor, dass es sich "nur" um Fische handelt", sagt Biggi. "Entsprechend kann sich im Fachhandel jeder ein Aquarium mit Fischen kaufen und ohne das nötige Fachwissen betreiben." Wenn dann das Interesse an den Fischen langsam schwindet oder sich die persönliche Situation ändert, wie z. B. bei einem Umzug oder bei Familienzuwachs, landen viele von ihnen in einer Auffangstation. "Es sind aber nicht "nur" Fische", betont Biggi, "jeder Einzelne von ihnen hat seinen eigenen Charakter. Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man mit ihnen interagieren und eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Schau mal, diese Prachtschmerlen hier zum Beispiel verbringen fast den ganzen Tag mit Spielen." Und tatsächlich, die gelben Fische spielen mit einem kleinen Ball, der im Aquarium schwimmt.

Zwei kleine Stufen weiter unten fängt die Reptilienabteilung an. Auffallend schön und abwechslungsreich eingerichtet sind die Terrarien, mit vielen Kletter­ und Versteckmöglichkeiten. Biggi legt grossen Wert darauf, dass es nicht immer gleich aussieht, denn für die Tiere ist neues Terrain zu erkunden eine willkommene Beschäftigungsmöglichkeit. Bis auf die Fische haben alle Tiere bei AquaTerra­Herz einen Namen, und im Gespräch merke ich, dass Biggi jedes einzelne Tier ganz genau kennt: seinen Charakter, seine Vorlieben, seine Gewohnheiten.

"Wir verfüttern 1000 Heuschrecken und Grillen pro Woche"

Vom kleinen Jungferngecko bis zur riesigen Boa sind alle Gattungen vorhanden. Entsprechend breit gefächert ist auch der Speiseplan: Biggi verfüttert regelmässig Früchte, Gemüse, Insekten und kleine Nagetiere.

"Die Tiere sind immer nur so gesund, wie es ihre Nahrung ist", sagt sie. "Wir verfüttern 1000 Heuschrecken und Grillen pro Woche, aber zuerst müssen wir sie mindestens zwei Tage lang aufpäppeln, da sie im Fachhandel tage­, manchmal wochenlang in diesen Verkaufsschalen aus Plastik ausharren müssen, bis sie verkauft werden. Wir haben dafür eine spezielle Futtermischung entwickelt, die man auch bei uns beziehen kann. Erst nach diesen zwei Tagen werden sie zu gutem Futter für die Echsen."

Alle Reptilien, die bei AquaTerra­Herz abgegeben werden, kommen zuerst in die Quarantäne­Station. "So stellen wir sicher, dass die Tiere keine Krankheiten einschleppen." Reptilien sind Träger von verschiedenen Viren und Parasiten, die für sie bei Stress gefährlich werden und für andere Arten sogar tödlich sein können.

"Wir desinfizieren immer unsere Hände, nachdem wir in ein Terrarium gefasst haben, und auch alle Futternäpfe, Dekorgegenstände und Wasserschalen werden regelmässig desinfiziert. In der Quarantäne haben wir ausserdem die Möglichkeit, neue Tiere besser zu beobachten – ob sie normal fressen und wie sie sich im Allgemeinen verhalten."

Bei den Reptilien herrscht dasselbe Bild vor wie bei den Fischen: Terrarien in allen Grössen, wohin man auch schaut.

"Wir platzen aus allen Nähten, so kann es nicht weiter gehen"

"Seit der Gründung des Vereins 2017 ist die Zahl der Tiere, die abgegeben werden, exponentiell gestiegen. Im ersten Jahr waren es 81 Tiere, von denen wir 30 neu platzieren konnten. Letztes Jahr waren es schon 201 Tiere, von denen wir 166 platzieren konnten. Natürlich versuchen wir, so viele Tiere wie möglich zu vermitteln, aber den richtigen Platz zu finden braucht einfach Zeit. Wir sind an der Grenze unserer Möglichkeiten angelangt, was den Platz betrifft. Die Quarantäne­Station ist bereits ausquartiert in meine Wohnung im oberen Stock, und alle unsere Helferinnen und Helfer haben auch Tiere bei sich zuhause.

Wir brauchen ganz dringend ein neues Zuhause mit mehr Platz für unsere Tiere, denn mehr Terrarien passen hier einfach nicht mehr hinein. Es gibt in der Schweiz nicht viele Auffangstationen für Reptilien und Fische, und die meisten Tierheime nehmen auch keine auf. Wenn ich ein Tier aus Platzgründen ablehnen muss, dann weiss ich, dass die Alternative meistens die Euthanasie ist – das bricht mir das Herz."

"Die Alternative ist meistens die Euthanasie"

Alle Tiere bei AquaTerra­Herz wurden entweder von ihren ehemaligen Besitzern abgegeben, gefunden oder vom Veterinäramt beschlagnahmt. "Beschlagnahmungen von Fischen oder Reptilien sind eigentlich immer Zufallsfunde. Da diese Tiere stumm leiden, fällt es niemandem auf, wenn es ihnen nicht gut geht", sagt Biggi. "Deswegen betreiben wir viel Aufklärungsarbeit. Wir besuchen mit unseren Schlangen und Echsen Schulen und Kindergärten, um den Kindern den Zugang zu diesen Tieren zu ermöglichen. Letztes Jahr waren wir während der Sommermonate jeden Sonntag im Kinderzoo Rapperswil. Wir möchten zeigen, dass es keinen Grund gibt, sich vor unseren Tieren zu fürchten oder zu ekeln." Der Verein steht jederzeit auch telefonisch zur Verfügung für Fragen betreffend Haltung und Pflege von Reptilien oder Fischen. Hat jemand Interesse an der Übernahme eines der Tiere, verläuft das bei Neueinsteigern normalerweise in drei Schritten. Zuerst besucht die Person die Auffangstation und verschafft sich in Ruhe einen ersten Eindruck. Danach hilft sie einen Tag lang bei der Pflege und Fütterung der Tiere sowie bei der Reinigung der Terrarien mit.

Erst dann findet die Übernahme des ausgewählten Tieres statt, denn nur so kann das nötige Know­how weitergegeben werden, damit Tier und Halter langfristig glücklich sind. Dieses Angebot gilt auch für Personen, die bereits ein Tier haben, aber unsicher sind, ob sie alles richtig machen, oder Personen, die über die Haltung eines solchen Tieres nachdenken. "Es wird immer Fälle geben, in denen ein Tier abgegeben werden muss, aber die meisten könnten durch gute Aufklärung vermieden werden – das ist unser Ziel."