Ohne Eile immer zusammenbleiben – Alpabzug der tierfreundlichen Art

 

Von Martina Futterlieb

Oberhalb von Jeizinen, auf 1550 m ü. M., befindet sich das Paradies, eine wunderschöne Alp mit traumhafter Aussicht auf die umliegenden Berggipfel. Hier tun sich die schottischen Hochlandrinder, Schafe, Esel und Pferde des Hof Allegro im Sommer an frischen Alpkräutern gütlich und geniessen die angenehmen Temperaturen, während es im Tal unten brütend heiss ist.

Der übliche Alpabzug der geschmückten Kühe mit grossen, schweren Glocken um den Hals – so schön er für die Zuschauer auch sein mag – ist für die Tiere oft grenzwertig anstrengend. Häufig müssen sie lange Strecken zurücklegen, bis sie an ihrem Ziel angelangt sind, und viele Tiere brauchen Wochen, um sich von den Strapazen zu erholen. Deshalb wird der Alpabzug der Hof-Allegro-Tiere in Etappen durchgeführt. Schön hintereinander, ohne Eile und immer zusammenbleiben, lautet die Devise. Die erste Etappe dauert drei Stunden, dann sind sie bei der Herbstweide, wo sie noch einige Wochen bis zu den ersten Schneefällen bleiben dürfen. Danach geht es runter ins Tal ins Winterquartier.

Die erste Aufgabe des Hof Allegro: Leben retten

Als Dea Alvino 2014 den kleinen Hof übernahm, um daraus einen Lebenshof zu machen, durfte sie auch gleich die bestehende Herde von über 15 Hochlandrinder-Mutterkühen und einigen Ochsen freikaufen. Die Kühe waren zu diesem Zeitpunkt alle trächtig und kurz darauf kamen ihre Kälber zur Welt. Was für eine Freude, als die Mutterkühe zum ersten Mal ihre Kälber behalten und grossziehen durften, so wie es die Natur für sie vorgesehen hat! Kühe haben ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten und die Bindung der Mutterkuh zu ihrem Kalb hält ein Leben lang.

Aus den glücklichen kleinen Kälbern sind heute ausgewachsene Kühe und Ochsen geworden und die Grösse der Herde hat sich somit fast verdoppelt. Sie leben friedlich zusammen und scheinen zu wissen, dass sie jetzt ein Zuhause auf Lebzeiten gefunden haben. Es ist spannend zu beobachten, wie sie untereinander Freundschaften schliessen, wie die ehemaligen Kälber immer noch gerne die Nähe ihrer Mütter suchen und wie die jungen Rinder spielerisch miteinander kämpfen, ohne sich zu verletzen. Doch der Laufstall im Tal ist für eine konventionell gehaltene Mutterkuh-Herde ausgelegt, bei der die Kälber verkauft oder geschlachtet werden, bevor sie gross sind. Jetzt, wo die jungen Rinder ausgewachsen sind, braucht die Herde doppelt so viel Platz. Es muss eine grössere Liegefläche ausgebaut, überdacht und befestigt werden. Die Arbeiten sind bereits in vollem Gange, denn vor Wintereinbruch muss alles fertig sein.

Die zweite Aufgabe des Hof Allegro: Leben erhalten

Dea Alvino bietet mit ihrem Hof nicht nur einen Zufluchtsort für Rinder, Schafe, Pferde und Esel, sondern bildet auch, in Zusammenarbeit mit Agridea, Herdenschutzhunde aus. Denn eine gut geschützte Schafherde muss keine Wölfe fürchten. Ihre eigenen Schafe werden auch auf diese Weise vor Wolfsrissen geschützt. Die Hunde wachsen mit den Schafen auf, sie leben Tag und Nacht mit ihnen und verstehen sich dadurch als Teil der Herde, die es zu schützen gilt, ganz egal, was kommt. Die letzte Abstimmung über die Revision des Jagdgesetzes hat gezeigt, dass sich die Schweizer Bevölkerung für ein Zusammenleben mit Wildtieren einsetzt – auch mit grösseren Raubtieren wie dem Wolf.

Jetzt heisst es, Lösungen zu finden, um ein Miteinander zu ermöglichen, bei dem auch den Bedürfnissen der Schafzüchter, die ihre Tiere auf die Alp bringen, Rechnung getragen wird. Besonders im Wallis, wo sich bereits einige Wolfsrudel niedergelassen haben, bieten Herdenschutzhunde eine hervorragende Lösung.