Weihnachtsgeschichte - Wo ist Weihnachten am schönsten?

Bald ist es wieder so weit: Weihnachten steht vor der Tür und eine geheimnisvolle, fast magische Zeit beginnt. Aber wo ist es am schönsten zu Weihnachten? Im winterlichen Wald, im festlich geschmückten Wohnzimmer oder vielleicht doch im warmen Stall?

 

Von Bettina Ebner

Das alles wollte der Mond in diesem Jahr von seinem Himmelsplatz aus unbedingt herausfinden. Nur er erleuchtete die Welt am Weihnachtsabend so hell und nur er konnte von weit oben sehen, wie die Tiere und die Menschen miteinander umgehen.

Sein Licht landete am Weihnachtsabend bei einer uralten Tanne, die gleich am Eingang des Waldes neben einem Felsen und einem umgekippten Baumstamm ihren Platz hatte. Es war sehr schön hier und ruhig, aber trotzdem nicht gänzlich still. Immer wieder kamen Tiere hierher und versammelten sich unter der alten Tanne und manchmal kamen auch Menschen von der Stadt und setzten sich auf den Baumstamm.

An diesem Abend gehörte dieser Platz aber allein den Tieren und dem Licht des Mondes.

Beinahe geräuschlos kam eine kleine Eule angeflogen und setzte sich auf einen Tannenast. Sie hatte schon viele Nächte auf diesem Ast verbracht, aber in dieser Nacht war das Mondlicht noch heller als ihre leuchtenden Augen.

Müde blinzelte ein kleines Eichhörnchen aus seinem Nest weit oben im Baumstamm hervor und machte eine kurze «Schlafpause». Ein kleiner Igel und eine Waldmaus wurden durch das helle Licht ebenfalls aus dem Schlaf geweckt und kamen aus ihren «Wohnhöhlen». Der Wald und die Felder leuchteten in diesem Jahr ringsum besonders geheimnisvoll und feierlich und immer mehr Tiere des Waldes kamen zu Besuch. Hirsche, Rehe, Füchse und Hasen trafen sich ebenfalls im vom Mondlicht sanft glitzernden Schnee und selbst ein kleiner Siebenschläfer rollte sich kurz aus, um die magische Stimmung zu spüren.

Keines der Tiere wusste, was Weihnachten ist, aber tief im Herzen fühlten sie, dass diese Nacht etwas ganz Besonderes war, denn so hell hatte das Mondlicht noch nie geleuchtet.  Der Mond war sehr zufrieden. Denn auch wenn die Eule die kleine Maus eigentlich jagen und der Fuchs dem Hasen nach dem Leben trachten würde, waren sie in dieser Nacht alle friedlich vereint.

Und wie erleben die Tiere, die mit den Menschen leben, Weihnachten? 

Auf seiner Suche nach Antworten schickte der Mond sein Licht von Haus zu Haus. Es beleuchtete die verschneiten Hausdächer und vereinzelte Schneemänner in den Vorgärten. Die Menschen schmückten ihre Häuser mit Lichterketten, sie zündeten Kerzen an und hatten prachtvoll dekorierte Weihnachtsbäume in ihren Wohnzimmern stehen.

Die geliebten Vierbeiner bekamen an diesem Abend einen gemütlichen Platz vor dem Kamin. Sie durften ein Geschenk «auspacken» und wurden mit allerlei Leckereien verwöhnt. Ab und zu hörte der Mond Kinder, die sich um die Geschenke stritten, oder Erwachsene, die im ganzen Stress um möglichst perfekte Weihnachten völlig vergassen, um was es eigentlich ging: um Zusammenhalt, Liebe, Licht und Wärme. Den üppigen Weihnachtsschmaus liessen sich dann aber alle gemeinsam schmecken. Keiner dachte darüber nach, wie das Tier auf dem Teller vorher gelebt hatte.

Dieses Bild stimmte den Mond schon etwas nachdenklicher als jenes im Wald. Die Liebe wurde hier offensichtlich nicht jedem Tier gleichermassen zuteil. Die Menschen machten Unterschiede, welchen Tieren sie ihre Liebe zukommen liessen und welchen nicht.

Es war schon sehr spät geworden an diesem kalten Weihnachtsabend und fast alle Tiere und Menschen schliefen bereits, als das Licht des Mondes auf der Suche nach weiteren Antworten über einem Bauernhof stehen blieb. Ein kleiner Junge schlich auf Zehenspitzen aus dem Haus und stapfte durch den Schnee zu den Ställen, um nach den Tieren zu sehen.

Es war nur ein leises Rascheln der Pferde zu hören, die genüsslich an ihrem frischen Heu knabberten. Die Kühe standen friedlich im Stall und blinzelten ihn verwundert an. Die Schafe lagen zusammengerollt im Stroh und die Schweine schliefen bereits tief und fest.

Gerade als der Junge den Stall wieder verlassen wollte, hörte er eine sanfte und freundliche Stimme. Sie kam direkt aus dem Stall der alten Stute. Sie schaute den Kleinen vertrauensvoll an und sagte: «In der Weihnachtsnacht können alle Tiere sprechen. Das ist unser Geschenk an ganz besondere Menschen.»

Der Junge konnte es nicht glauben, es stimmte also wirklich. Die Tiere können an Weihnachten sprechen. Aber warum sagten dann alle, das sei nur ein Märchen? Das Pferd näherte sich dem Jungen bis auf wenige Zentimeter und senkte leicht den Kopf. Nun waren die beiden sprichwörtlich auf Augenhöhe. «Nur ganz wenige und besondere Menschen, die ein gutes und offenes Herz haben wie du, können uns in dieser Nacht hören. Viele Menschen hören uns aber nicht. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und nehmen uns nicht als fühlende Wesen wahr.» Der kleine Junge war sehr gerührt von diesen Worten.

«Haben denn nicht alle Tiere so ein schönes Zuhause wie ihr?», fragte er. In der Zwischenzeit waren alle Tiere des Stalls aufgewacht und setzten sich zu den beiden ins Stroh. Die zwei Schweinchen machten von allen das traurigste Gesicht. «Nein, mein Junge, nur wenige haben das Glück, so zu leben wie wir. Viele von unseren Artgenossen leiden, gerade zu Weihnachten, ganz fürchterlich und ihre Stimmen in den Ställen hört niemand.» Der Kleine konnte kaum glauben, was er da hörte, und beschloss mit seinen Eltern darüber zu reden. Er war sich sicher, dass sie den Tieren noch nie richtig zugehört hatten.

Weihnachten war also nicht für alle Geschöpfe ein schönes Fest. Manche Menschen hatten vor lauter Sprechen verlernt, auch zuzuhören. Sie überhörten die Schreie der Tiere und kümmerten sich nur um ihre eigenen Bedürfnisse. Für einen kurzen Moment wurde das helle Licht des Mondes etwas dunkler. Glücklicherweise gab es aber auch viele Menschen, wie den kleinen Jungen, die allen Tieren gut gesinnt waren und sich hingebungsvoll um sie sorgten. Jeden Tag aufs Neue.

So kam der Mond zum Schluss: Es gibt keinen bestimmten Ort, an dem Weihnachten am allerschönsten ist. Weihnachten ist am schönsten, wenn alle Geschöpfe – Tier und Mensch – sich gegenseitig zuhören und respektvoll behandeln. Nur der liebevolle Umgang untereinander macht Weihnachten zum glücklichsten und besinnlichsten Fest im Jahr.